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gekehrt geben die Gegner zu, daß ein edler Gebrauch
solcher Postkarten sicher bisweilen vorkommt. So
sind es in erster Linie die Künstler selbst, die ihre
neueste Schöpfung allen Bekannten auf einer
Postkarte in Erinnerung bringen. Auch Besucher
von Museen werden sich vielleicht eine Post-
kartensammlung als Erinnerung mitnehmen.

Die Streitfrage spitzt sich also dahin zu: „Wie
ist der Gebrauch einer Bildpostkarte in der Regel!"

Die Regel ist bei der Postkarte als Massen-
artikel der Verkauf bei Buchbindern, in Barbier-
stuben, in kleineren Geschäften zusammen mit
Seife, Obst usw., in den Wirtschaften auch des
niedersten Grades. Da sieht man die Venus
von Milo neben dem Glücksschwein und den
übrigen Bierulkkarten. Diese Händler und Nicht-
künstler sind Sachverständige für die Frage: Wer
kauft diese Karten? Die Antwort lautet: Halb-
wüchsige Jungen, von denen einer dem anderen
zuflüstert: die Dicke da oben gefällt mir am
besten; fast gar keine Frauen, nur Männer und
mehr aus einfacheren Kreisen. Dieses Massen-
publikum soll also die Nacktdarstellungen nur
aus Kunstinteresse kaufen? Nur merkwürdig,
daß dieselben Leute in ihrer Kleidung, in ihrer
Wohnung und in ihren Urteilen sonst gar keinen
künstlerischen Geschmack zeigen. Die Liebe zur
Kunst scheint sich bei diesen Leuten also nur
auf das Nackte zu beschränken.

Nein, es ist graue Theorie, daß Kunst in
jeder Art der Reproduktion und des Gebrauches
veredelnd wirken muß, und wer nicht weltfremd
durch das Leben geht, der muß erkennen, daß
auf solchen Postkarten mehr der nackte Mensch
wie die künstlerische Darstellung beachtet wird.
Postkarten werden hauptsächlich gekauft, um sie
zu versenden. In den Bierhäusern verkauft,
werden diese Nacktdarstellungen, mit Namen an
allen Stellen beschrieben, dann am nächsten
Tage durch den Briefträger schmunzelnd dem
Dienstmädchen übergeben und von diesem sicher-
lich nicht daraufhin geprüft, ob es ein Rubens
oder ein Raffael ist. Solche Benutzung einer
Bildpostkarte ist jedenfalls nicht geeignet, der
hohen Kunst Respekt zu verschaffen. Damit
werden nicht die Ideale in das Volk getragen,
sondern herabgewürdigt. Daß auch für die breiten
Massen der Bevölkerung ein der Kunst angemessener
Vortrag möglich ist, zeigen die vielen billigen und
guten Sammelwerke und Zeitschriften, wo die
Kunstwerke galerieartig vorgeführt werden.

Museen and öffentliche Sammlangen.

Neuerwerbungen des Berliner Kupferstich-
kabinetts. Der Kultusminister hat der graphischen
Sammlung der Berliner Museen eine Reihe der
graphischen Werke überwiesen, die auf der Ber-

Dieser Gegensatz zeigt die Grundsätze der
Reichsgerichtsentscheidung in ihrem Kern. Die
reine Kunst kann durch eine der Kunst nicht
angemessene Vorführung unrein werden. Das
gilt ebenso für das Original wie für die Repro-
duktion. Beispielsweise könnte die Eisenbahn-
verwaltung die schöne Neuerung, ihre Eisenbahn-
abteile mit künstlerischen Ansichten zu schmücken,
nicht auch auf alle ihre Räume, zum Beispiel
auf die Bedürfnisanstalten, ausdehnen, und zwar
weder mit Originalen noch mit Reproduktionen.
Wird aber die Kunst würdig vorgeführt, so ist
selbstverständlich, wenn das Original rein ist,
auch die Reproduktion nicht unzüchtig. Wie
aber das Original mißbraucht werden kann, kann
auch die Reproduktion mißbraucht werden, und
es ist zweifellos ein Mißbrauch der Kunst, wenn
Nacktdarstellungen aus Gründen gekauft werden,
die mit dem Interesse für Kunst nichts zu tun
haben. Das ist aber bei Postkarten nach der
Art ihrer Bestimmung und ihres Vertriebes für
sehr viele Fälle zu vermuten.

Nun könnte man aber sagen, die Beschlag-
nahme solcher Postkarten könnte im Publikum,
das nicht so scharf unterscheidet, den Eindruck
erwecken, daß auch die Originale unzüchtig sind,
die damit herabgewürdigt wären. Dies ist wohl
nicht zu befürchten, denn solcher Gegensatz be-
steht doch auch in anderen Dingen. Es ist zu
Hause vieles erlaubt, was auf der Straße be-
kanntlich verboten ist. Die dekolletierte Dame
würde auf der Straße als anstößig wirken,
während sie im Opernhaus zur Galavorstellung
?ar nicht anders zugelassen wird. Ohne wesent-
liche Nachteile schützt daher die Unterdrückung
solcher Postkarten den Künstler vor einer un-
würdigen Vorführung und Benutzung seiner Kunst.

Wer den Mißbrauch der Reproduktion unter-
drückt, gibt dem Original den höchsten Schutz.
Dieser Standpunkt des Reichsgerichts ist ein für
den Künstler so vorteilhafter, daß er sich hüten
sollte, dagegen anzukämpfen.

Wenn auch vielleicht die Behörde mit größerem
Rechte noch gegen manche Witzblattillustrationen
oder manche Schaufensterdekorationen der Kor-
settläden eingeschritten wäre, so müssen sich die
Künstler trotz alledem bei dieser Protestbe-
wegung doch ernstlich fragen, ob sie nicht in
dem Glauben, die Freiheit der Kunst zu
schützen, nur die Geschäfte der Postkartenin-
dustrie besorgen.

liner Jubiläums-Kunstausstellung dieses Jahres aus
den Ueberschüssen der vorjährigen Großen Ber-
liner Kunstausstellung angekauft wurden. Es sind
Radierungen von Erich Wolfsfeld, Paul Herr-
mann und Arthur Wilcken. Als Geschenke
 
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