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lagen der Malkuust" (Verlag: Cotta, Leipzig 1910):
„Machen Sie mir", so lautet ein Auftrag, „vierund-
zwanzig Abendstiinmungen dieses Musters 60 : 40,
bis zu dem und dem Termin." Auch werden die
Wiener Bildermanufakturen erwähnt, die nach einem
Original Massenkopien anfertigen lassen mit Mate-
riallieferung und nach schlechtem Stücklohn. Nicht
selten wird auf diesen Kopien noch Arbeitsteilung
eingeführt, so daß einer Luft, der andere Wasser
usw. malt. Die Geschichte kommt dann in prunk-
volle Goldrahmen und wandert in den Kunsthandel.
'Haben diese Produkte mit Kunst auch nichts zu tun,
so doch mit der Künstlerfrage. Sie verringern den
Gesamtkonsum an wirklicher Kunst und entziehen
sich mit ihren Machenschaften der öffentlichen Kon-
trolle. Diesen Betrieben entsprechen die literarischen
Betriebe des Schund Verlags. Der Modus des Auftrags
ist durchaus jenem anderen ähnlich. Junge arme
Schriftsteller, Studenten und Dichter werden enga-
giert, um entweder selbst Schundware zu machen
oder einen sensationellen Roman, dessen Stoff, nicht
dessen Kunst, eine kräftige Verwertung verträgt,
„umzuarbeiten", in eine Form zu gießen, die die
Anreizung unterstreicht und das Original ver-
schleiert.*) Diese Produkte gehen dann als geistige
Nahrung in den Handel. Unternehmer solcher Be-

*) Dem traurigen Beispiel jener sogenannten ..römischen
Malergaleere", in der junge mittellose Maler arbeiteten, d. Ii.
nach Stück- und Taglohn kopierten Cganze Schiffsladungen
dieser Kunstware gingen nach Spanien und 'Portugal zum
Schmuck für Kirchen und Klöster), entspricht ein moderner
Fall typischen Künstlerelends, den wir der ..Werkstatt der
Kunst", Heft 28, X. Jahrgang 1911. entnehmen.

Von einem Berliner Künstler geht der ..Berliner Volks-
zeitung" folgende Zuschrift zu:

Mit Tnteresse las ich in Nr. 131 Ihres geschätzten Blattes
die Notiz über einen ..Kunstprozeß" CSchleusing kontra „Werk-
statt der Kunst"), in dem durch Zeugenaussage eines Malers
festgestellt wurde, für welche Hungerlöhne oftmals Kollegen
zu arbeiten gezwungen sind. Ich bin nun in der Lage. Ihnen
mit Zahlen dienen zu können. die noch ein viel grelleres
Schlaglicht auf gewisse Zustünde im Kunsthandel werfen und
die Preise, die jener Zeuge vor Gericht angab, noch in Schatten
stellen. Einige meiner Kollegen und ich persönlich haben
das ..Glück", für eine Anzahl ..Kunsthändler" arbeiten zu
dürfen, die folgende Honorare bezahlen:

a) Für ein Oelgemälde 55^75 cm inklusive Leinwand und
Blendrahmen (sechs) 6 Mk.

b) desgleichen Größe 70X10° em inklusive Leinwand und
Blendrahmen (zwölf) 12 Mk.

c) für ein Oelgemälde 05X140 cm Inklusive Blendrahmen
und Leinwand (sechzehn) 16 Mk.

Für kleine Bildwerke ungefähr 26X^7 cm Figuren (!) (kleine
Genrebilder) Ml;., für Landschaften in derselben Größe
1—1.50 Mk.. inklusive Material. Ein Grossist, der hauptsäch-
lich kleine Bilder vertrieb, zahlte für Postkartenkopien (Ge-
hirgspartien und dergleichen von Splittgerber u. a.):

Größe 21X31 cm 60 Pfg.

Größe 13X-0 cm 50 Pfg.

Größe 26X52 cm 125 Pfg.
Originalentwürfe in derselben Größe 30—50 Pfg. mehr! Oh
Landschaft oder Figuren, die Preise bleiben ziemlich gleich.

Verkauft wurden die Sachen aber in hilligen Goldrahmen
z. B. zu folgenden Preisen:

55X 75 cm für 40— 50 Mk.

70X100 cm für 60— 80 Mk.

95X140 cm für 110—120 Mk.
und mehr, aber nicht unter 100 Mk.

26X37 cm für 18—25 Mk. usw,

triebe sind nicht selten sehr reich. Es ist klar, daß
der sich ehrlich und künstlerisch wissende Künstler
lieber hungert und lieber zu einer äußersten Be-
schäftigung greift, als zu einer solchen sachlichen
und geistigen Prostitution. Wo aber bleibt die große
Masse von Künstlern, die weder für die sublimen
Kenner, schon der Zahl nach nicht, in Frage kom-
men, noch für den mittleren und schlechtesten
Schuudbetrieb. Es gäbe da noch viele Formen des
Kunsthandels zu erwähnen. Was an Kunstgütern
zwischen den Extremen des Kunsthandels angeboten
und produziert wird, sucht seine Verwertungsmög-
lichkeit meist durch die direkten Beziehungen. In
der bildenden Kunst im Verkehr vom Künstler zum
einzelnen oder Händler oder durch das Angebot
durch die großen Ausstellungen. Die großen offi-
ziellen Kunstausstellungen vermitteln die akade-
mischen Produkte und die zur Unterhaltung, im
Sinne der Empfindung des Durchschnittspublikums.
Die Sezessionen geben einer revolutionären, mit
starken kulturellen und neuen Erkenntnissen rin-
genden Kunst das Wort. Auch die öffentlichen
Salons der Kunsthändler haben ihre charakteristische
Qualität. Delikate intime Kunst, besserer Durch-
schnitt und die Marktware. Zahlreiche Ausstellun-
gen von bildender Kunst, im einzelnen signiert durch
ästhetisch begründete Richtungen oder Schulen stehen
daneben. Alle mit dem Doppelcharakter: ideeller
Wettbewerb, ästhetisches Genußangebot und wirt-
schaftlicher Verwertungszweck. Das groß ange-
wachsene Ausstellungswesen hat jedenfalls zu einem
immer größer wachsenden Angebot von Produkten
geführt, ist einer ästhetischen Halbbildung und sen-
timentalem Bedarf immer mehr entgegenkommen
und hat den Kampf der Kunst innerhalb der Kunst
noch erschwert. Die etwaigen Verkaufsvorteile für
die Masse der Künstler hat sie wieder illusorisch ge-
macht. Die Mittelmäßigkeit als Geschmacksfaktor
züchtete die Ueberproduktion in der Mittelmäßig-
keit. Die Folge davon war das Zurückstehen und
Leiden der besten und einzigsten Künstler. Aus
diesen Kreisen kam denn auch die Reaktion gegen
das massenhafte Ausstellungswesen. Die Auswahl
der Sezessionen, die privaten Sammlungen und
Salons. Immerhin aber sind diese nur ein Teil des
Kunstlebens geblieben und die Massenausstellunoen
führen nach wie vor ihr Dasein. Fortwährend
spalten sich neue Gruppen, gekennzeichnet durch
Stilrichtungen, von den größeren ab. ohne daß
wirtschaftliche allgemeine Hintergründe die Lage der
Künstler als Künstler sicherten. Fassen wir das
Resultat des Ausstellungswesens noch einmal zu-
sammen mit den Worten Gustav Paulis in den Süd-
deutschen Monatsheften*): ..Ein weiteres Bestehen
des gegenwärtig noch herrschenden Typus der Kunst-
ausstellung wäre jedenfalls geradezu ein Unglück.
Er zeigt uns die Ausstellung aus dem innigen Ver-
band mit dem Kulturleben abgelöst als eine Sache
für sich, die sich selbst Zweck ist und nach deren

*) Bd. TT. S. 712.
 
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