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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1. Oktoberheft
DOI Artikel:
Singer, Hans Wolfgang: Rembrandt und die neuere Radierung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0049

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Herausgeber: Ailoipt 1 DOHG111

i. OkioDerfreff

Rembrandt und die neuere Radierung

oon

fians tüolfgang Singet?

jer sehr starke Einfluß, den Rembrandt van Rijn als
Radierer auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, hat
sic-h wohl mehrere Generationen hindurch erhalten, aber
kaum über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus. Wenn
wir darüber hinaus auf Erscheinungen wie Baillie, Basan
oder Denon, dann auch Pionski und Norblin stoßen, so
handelt es sich doch meist um Leute, die nur zum Teil
Künstler, zum andern Teil aber Archäologen sind und sie
halten sich an Rembrandt, weil sie sich ihm mehr oder
minder auf wissenschaftlichem Weg genähert, manchmal
ihn geradezu ausgegraben haben.

Das gilt noch bis ins 19. Jahrhundert hinein für
solche Leute, wie Rumohr. Auch er hält sich einiger-
massen an Rembrandt; aber gerade er ist mehr Kunst-
gelehrter als Künstler und es mag als sicher gelten, daß
er, wenn er letzteres nicht gewesen wäre, den Weg zu
Rembrandt nicht gefunden hätte.

Mit alledem kann man sich sehr wohl abfinden.
Zweifellos sind es nicht die starken Künstler, die sich
an eine Größe vorangegangener Zeit halten, mag es sich
auch um eine solche wie Rembrandt handeln. Lebt man
in Kupferstichkabinetten, so erhält man ständig den Beweis
hierfür. Die jüngeren Menschen, die sich anempfehlen
lassen, die alten Meister zu studieren, bleiben schwache
Kräfte, je schwächer, je eifriger sie sich in solch ein
längst verstorbenes oder gar noch lebendes Studiums-
objekt vertiefen. Die starken Talente bringt man ja über-
haupt kaum dazu, ein Kupferstichkabinett zu besuchen.
Sie kümmern sich nicht im geringsten darum, wie dieser
und jener es gemacht haben; sie schöpfen ihre Graphik
aus dem Leben, nicht aus der Kunst, aus zweiter Hand.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in
Süddeutschland eine Gruppe von Radierern, von denen

der alte Nagler stets aussagt, daß sie „geLtreich“ radieren.
Das ist das Wort, das ihm immer einfällt, wenn der
Begriff ausbleibt. Und in der Tat sind deren Arbeiten
auch herzlich unbedeutend. Nun halten sie sich samt
und sonders an alte Meister, zwar nicht an Rembrandt,
aber doch an Waterloo und Everdingen, und so bestätigen
auch sie die Regel, daß, wenn einer Kunst nachahmt, er
immer unter das Mittelmaß fällt.

Nicht nur der Einfluß Rembrandts ist allmählich
ganz abgestorben im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts, die Tradition der Radierung brach jäh ab.
Bekanntlich mußte Brocquemond, nachdem er vergeblich
von Atelier zu Atelier gewandert war, um zu erfahren,
wie man denn überhaupt radiere, sich seine Weisheit aus
der alten Diderotschen Enzyklopädie zusammenklauben.
Was er schließlich gelernt, verdankt er dem eigenen
Herumexperimentieren und die neue Radierung überhaupt
entstand wie der Phönix aus der Asche der Alten, nicht
unter deren Leitung. Das gilt auch von Meryon, ob-
wohl gerade er einiges den Blättern des Reinies
Woones, also eines Vorgängers des 17. Jahrhunderts,
abgeguckt hat.

Nur in einem Land war Rembrandt der Pate der
heutigen Radierung. Seymour-Haden, den wir gut als
ihren Pionier in England bezeichnen dürfen, hat aller-
dings Rembrandt fleißig studiert, um zu seiner eigenen
Kunstübung zu gelangen. Es ist vielsagend, daß er nicht
ein normaler Künstler mit dem üblichen Werdegang und
der gewöhnlichen Entwicklung war, sondern völlig eine
Ausnahmeerscheinung, und zwar ein Arzt mit einem
außerordentlichen Zeichentalent. Der Umgang mit seinem
Schwager, dem Künstler Whistler und die Offenbarung
des Werkes Rembrandts gaben einen mächtigen Anstoß,
 
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