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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1. Novemberheft
DOI Artikel:
Ury, Lesser: Das künstlerische Erlebnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0093

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Lesser Ury, der zu jenen Meistern zählt, die der mo-
dernen deutschen Malerei die stärksten Anregungen ge-
geben haben, schrieb auf die Bitte des „Kunstwanderers“
seine Gedanken über die psychologischen und realen Zu-
sammenhänge des künstlerischen Schaffens nieder.

Ueber das Thema „Das künstlerische Erlebnis“ einige
Gedanken auszusprechen, ist nicht ungefährlich.
Ein Problem, das die Menschheit, so lange die Kunst
besteht, bewegte und immer bewegen wird! Welche
Empfindung beherrscht den Künstler beim Schaffen
seines Werkes? Sind es überirdische Kräfte, seelische
Erregungen, die andere Sterbliche nicht fühlen können
und die ihn zwingen, den Weg zu gehen, der zu seinem
Werke führt? Oder ist es nur das Handwerkliche, der
Reiz, etwas technisch Vollendetes zu zeigen, vielleicht
nur die Wiedergabe der sich ihm darbietenden Natur?
Ich fürchte, diese Fragen werden niemals eine absolute
Lösung finden. Jeder Künstler wird auf sie anders ant-
worten. Mit Recht wird er, wenn er wirklich ein
Schaffender ist, antworten, daß nur er das Richtige zur
Lösung dieses Rätsels anführen könnte.

Auch mir hat während eines vierzigjährigen Schaffens
diese Frage manches Kopfzerbrechen und zweifelnde
Stunden gebracht. Oft genug, wenn ich draußen eine
Studie gemalt hatte und sie dann wieder in meinem
Atelier sah, fragte ich mich selbst: „Wie konntest Du
diese Farben sehen! Dieses entsetzliche Grün! Dies
strahlende Blau! Das Grün war doch grün! Du hast
es gelb gemacht! Warum das? Waren die Wolken
wirklich so rot?“ Wenn der Mensch in mir so fragte,
antwortete der Künstler in mir! „Als Du dieses Stück
maltest, hast Du die Natur so und nur so gesehen.
Eben darum, weil Du in dieser Stunde die Natur nur so

gesehen hast, wurde sie Dir zur Kunst!“ Tagelang bin
ich in der Natur herumgegangen, mit der festen Absicht,
etwas zu arbeiten, sei es, was es wolle. Ich wollte
etwas nach Hause bringen, etwas geschaffen haben. Es
war mir nicht möglich. An einem andern Tage war
das Verhältnis vielleicht grade das Umgekehrte. Ich gebe
damit in zwei großen Begriffen Gefühlsketten, die eine
unendliche Anzahl von individuellen Zwischengliedern
in sich tragen. Soviel aber mußte ich doch erkennen.
Das künstlerische Erlebnis wird geboren aus einem
Zusammenklang der Seelenstimmung des Künstlers mit
dem äußeren Eindruck, den er empfängt.

Solcher Art ist die Erregung des künstlerischen
Schaffens, darin begründet, daß der Künstler im Rahmen
der Anregungen der äußeren Welt doch immer letzten Endes
seine innere Welt, sich selbst gestaltet. Die Tiefe dieser
Wahrheit erkannte ich ganz, als ich vor Jahren zum
ersten Male vor Rembrandts „Nachtwache“ stand. Selbst
in diesem schlecht beleuchteten Raum empfand ich den
unbeschreiblich göttlichen Zauber, den das Bild aus-
strahlt und unwillkürlich trat vor mich die Frage: was
muß Rembrandt gefühlt haben, als er dieses Bild malte!
War es nur die Überwindung technischer Schwierigkeiten,
nur die Erhöhung der Leuchtkraft der Farbe bis zu einem
Siedepunkt, den nie ein Künstler vor ihm oder später
erreicht hat, die ihm die glücklichen Stunden seines
Lebens während der Arbeit gebracht hatte? Ist das
strahlende und doch so traurig schöne Halbdunkel seiner
Gestalten nur Ausdruck seines damaligen Lebens? Was
mag dieser Meister beim Schaffen seines unsterblichen
Werkes empfunden haben!

Ich fand keine Antwort auf meine Frage. Ich ging

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