Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
2. Novemberheft
DOI Artikel:
Wahl, Hans: Neuerwerbungen des Goethe-Nationalmuseums im Jahre 1919
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0117

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Es ist hinreichend bekannt, daß das Auftauchen eines
unbekannten beglaubigten Goetheporträts zu den größten
Seltenheiten gehört, nachdem jahrzehntelang tausendäugige
Aufmerksamkeit von Forschern und Kunsthändlern auf
Grund der in Tagebüchern, Briefen und Gesprächen
Goethes und anderer offen liegenden Quellen das Unterste
zu oberst gekehrt haben, zumal da ja das Wichtigste sich
im Museumsbesitz oder in festem Erbeigen bevorzugter
Familien befindet.

Die letzte aufsehenerregende Erweiterung des Bilder-
kreises geschah durch die Auffindung des Daweschen
Goetheporträts in Rußland,
das durch Stiftung (1914) in
den Besitz des Goethe-
Nationalmuseums überging.

Damit schienen die Akten
auf lange Zeit geschlossen.

Da tauchte im Dezember
1918 auf einer Berliner
Auktion eine Büste auf, die
sich als eine ganz einzig-
artige Arbeit des Weimarer
Hofbildhauers Martin Gott-
lob Kl au er (1742- 1801)
aus den Jahren 1789/90 er-
wies.

Seit Wilhelm Bode diesem
wenig beachteten Plastiker
des klassischen Weimar eine
liebevolle Lebensskizze ge-
widmet hat, ist dem lang
über Gebühr Vergessenen
steigende Aufmerksamkeit
zugewandt worden. Das
Museum, der Hauptsaal der
Bibliothek in Weimar haben
Klauerschen Werken einen
besonderen Platz angewie-
sen, im Tiefurter Schlößchen
ist er zu Ehren gekommen,
die Nationalgalerie in Berlin
hat 1908 eine seiner Goethe-
büsten erworben, in der
Sammlung Kippenberg in
Leipzig finden sich aus-
gezeichnete Stücke, und das
Goethe-Nationalmuseum in
Weimar hat ein, wenn auch kleines Zimmer lediglich
dem Goethebildner Klauer eingeräumt Dieses Mansar-
denstübchen, das neben anderen bisher zwei Tonbrand-
büsten von 1789/90 und ein herrliches Gesichtsfragment
barg, hat nun durch Einreihung der neuerworbenen
Büste eine äußerst wertvolle Erweiterung erfahren.

Die Büste hat bei genauer Prüfung überraschende
Eigenschaften offenbart, die sie über die bisher bekannten
bedeutend hinausheben. Schon äußerlich wirkt sie, in
den Formen größer, in der Haltung aufrechter, hoheits-
voller als ihre Schwestern im gleichen Raume in der
Nationalgalerie und in Kippenbergs Sammlung. Fach-

männische Untersuchung hat ergeben, daß es sich hier
um die Originalausformung (Gips mit Graphitüberzug) zu
den bisher bekannten Fassungen von 1789/90 handelt.
Rechnet man zu den Verhältnismaßen der Tonbrandbüsten
den normalen Größenschwund, der beim Brennen eintritt,
so ergeben sich die Ausmaße der neuen Büste. Wir
dürfen demnach in ihr das Original Klauers von 1789/90
schlechthin sehen, die Urform, die genau dem vom
Künstler nach dem Leben gebildeten Tonmodell entspricht.
Die energische Führung des Modellierholzes zeigt sich
deutlich an der Gewandung, an der fast skizzenhaften

Ausführung der auf die
Schultern rollenden Locken;
die dem Leben treu nach-
bildende Hand des Künstlers
offenbart sich in einer
größeren Mannigfaltigkeit
und Tiefe in der Behand-
lung der Gesichtsformen
dort, wo der Brand nicht
nur verkleinert, sondern
auch durch Formenausgleich
die Kraft des Originals leise
verwischt hat.

Es ist längst bekannt und
auf den ersten Blick deut-
lich, daß die Klauersche
Büste unter dem Einfluß
von Trippeis bekanntem
Marmorwerk entstand. Die
apollinische Frisur ist, wenn
auch geschmackvoll ge-
mildert, doch naiv genug,
einfach übernommen. Stellt
man jedoch die beiden
Werke nebeneinander und
tastet etwa mit geschlossenen
Augen gleichzeitig mit den
Fingerspitzen die gleichen
Gesichtsflächen ab, so sinkt
der Wert der meist über-
schätzten Trippelschen Ar-
beit auf ein bisher kaum
glaubhaftes Maß von weich-
licher Schönmeisseiei herab.

Klauers starkes und auf-
richtiges Naturgefühl belebt
die Flächenkurven des Gesichts durch kräftige Be-
tonung der Muskellagen, durch energische Behandlung
von Nase, Stirn und Kinn und wundervoll entschlossene
Zeichnung des festen, sinnlichernsten Mundes und er-
reicht einen außerordentlich hohen Grad ind vidualisieren-
der Formencharakteristik, der zu den Nachlebenden
kräftiger spricht als die auf wirklichkeitsfernere Schönheit
gerichtete Formvollendung Trippeis, der vielleicht ledig-
lich in den Augenpartien eine höhere künstlerische Fähig-
keit entwickelt hat.

Von Klauers Werk führen deutliche Linien zu den
besten plastischen Porträts des alten Goethe, zu der Maske

Martin Gottlieb Klauer. Goethe 1789 90.

113
 
Annotationen