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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Novemberheft
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Valentiner, Wilhelm Reinhold: Gemälde des Lucas von Leyden in Amerika
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0122

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Mit Recht bewundert man in den Werken des Künstlers
den Ernst des Vortrages, den Charakter der einzelnen
Figuren, die Prägnanz der Beobachtung im Beiwerk, die
solide Technik. Seine Erzählungen sind zwar wie die
holländischen Poesien der Zeit gleichsam ohne Anfang
und Ende, sie haben keinen dramatischen Höhepunkt,
aber die gehaltvolle Schilderung der handelnden Personen
und die Fülle unterhaltender Einzelheiten entschädigt iür
den Mangel an Temperament und an Gemüt.

Die Kunst des Lucas von Leyden ist freudlos und
gequält, Ausdruck
der Tätigkeit eines
emsigen Arbeiters,
der, neidisch auf den
Ruhm Anderer, Grö-
ßerer wie Dürers und
Raffaels, von falschem
Ehrgeiz getrieben
wird. Was wir von
dem Menschen wis-
sen, ist dieser Vor-
stellung gemäß.

Lucas war früh
entwickelt, klein von
Statur, jahraus-jahr-
ein von Leiden ge-
plagt, die ihm einen
frühen Tod brachten.

Wie manchmal bei
kleingewachsenen,
phantasiebegabten
Leuten, gehen die
Intentionen bisweilen
ins Maßlose, aber
körperliche Hemmun-
gen machen eine Ge-
staltung der Ideen von
gleich großem Ausmaß
unmöglich. Aus dem
riesenhaften Wollen
werden nur wunder-
volle Bruchstücke ge-
boren; es fehlt der
große zusammen-
fassende Zug; neben
breiten Wirkungen
steht eine kleinliche
trockene Ausführung.

Von seinen Ab-
sichten gibt wohl das Jüngste Gericht in Leiden
(1526) die großartigste Vorstellung. Es ist die be-
deutendste Fassung des Themas diesseits der Alpen
in der Renaissance, eine Komposition von seltener Raum-
wirkung, von wunderbaren Farbenklängen, reich an groß-
artigen Einzelheiten.

Wir meinen, außerhalb der Erde zu stehen und mit-
zuerleben, wie sich der Erdball in blassem grünlichem
Licht aus dem Nichts emporwölbt, wie die Wolkenschicht
die ihn umgibt, sich langsam herniedersenkt, und Christus

mit seinen Propheten und Engeln, inmitten dieser wogen-
den Elemente, das bewegte Leben auf der Erde um- und
neugestaltet. Buntschillernde Gewänder und Flügel der
Engel, Teufelsgestalten mit faibigen Fällen und prächtig
geformte menschliche Leiber leuchten vor dem jungfräu-
lichen Boden auf. Erstaunt steigen Wiedsrgeborene aus
den Gräbern, sinken über dem Wunder der Auferstehung
in die Knie oder fliehen angstvoll hin und her auf der
weiten Fläche, von Teufeln gejagt oder liebreich von
Engeln an der Hand genommen. Allein an menschliche

Behausung auf dem
kahlen Boden er-
innern ein paar Ru-
inen, aus denen
himmelhoch Flammen
schlagen; ein feuriger
Rachen tut sich da-
vor auf, verschlingt
die Verdammten und
speit Glut, die den
Horizont mit Qualm
verdunkelt.

Aber auch der
Himmel hat sich
aufgetan, reinliche
Wolken schichten
sich hoch und höher
bis in unermeßliche
Fernen und in end-
loser Reihe steigen
die Seligen auf, von
Stufe zu Stufe, ge-
tragen von Engeln,
von deren Flügel-
schlagen es bis in
die weitesten Räume
tönt.

Ein verwandtes
Bild von kleineren
Abmessungen, das
bisher noch nicht
veröffentlicht worden
ist, — eine Art Vor-
studie zu dem Lei-
dener Altarwerk, be-
findet sich in der
Historical Society in
New York. Es wäre
das 20. bisher be-
kannte Bild des Künstlers, wenn wir es der Liste
von 19 Gemälden anfügen, die Friedländer in seinem
Buch „Von Jan van Eyck bei Bruegel“ aufgestellt hat.

Friedländer hat das Verdienst, das malerische Werk des
Lucas zuerst kritisch gesichtet und von zahllosen falschen
Zuweisungen befreit zu haben; er nennt auch schon die
beiden anderen Gemälde des Künstlers, die Amerika außer
dem New-Yorker Bild noch besitzt: die Enthauptung
Johannes des Täufers in der Sammlung Johnson in Phila-
delphia, die auf der Brügger Leihausstellung von 1902

Abb. 2. Lucas von Leyden. Jüngstes Gericht.

New York, Historical Society.

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