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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Novemberheft
DOI Artikel:
Weinzetl, R.: Die Kopie in der ostasiatischen Malerei: Echtheit von Rollbildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0128

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ist? Noch komplizierter wird die Wertbestimmung, wenn
etwa der Sungmaler berühmt, der Mingmaler obskur und
der letzte Kopist wieder ein Maler von Ruf ist. Ich bin
mir wohl bewußt,- daß Ähnliches, wenn auch, was die
Zeitabstände betrifft, in verkleinertem Maßstabe, auch bei
uns Vorkommen kann, glaubte aber, auf diese Verhältnisse
näher eingehen zu sollen, weil der Kopie in der chine-
sischen Kunst eine allbeherrschende Stellung zukommt.
Es wird sich daher bei der Beurteilung von chinesischen
Kunstwerken für den europäischen Kunstverständigen
mehr als es sonst der Fall ist, empfehlen, unbeirrt von
hochtrabenden Signaturen, zunächst eine allgemeine Vor-
stellung von dem Standard der Höchstleistungen einer
Epoche zu gewinnen. Dies wird den Sammler davor
bewahren, enttäuscht zu sein, wenn ihm eines Tages
ein Bild in die Hände fällt, das seinem seit Jahren von
ihm als Kleinod verehrten besten Bild zum Verwechseln
ähnlich ist und vielleicht noch dazu auch älter aussieht.
Er mag sich dann damit trösten, daß vielleicht beide
Bilder von einem oder zwei verschiedenen Malern, aber
in verschiedenen Epochen nach einem Bilde kopiert sind,
das seinerseits wieder vielleicht die Kopie einer Kopie ist
und so weiter „bis in den Dämmer der Zeiten“. Das
bei uns gerne und eingehend, mit großem Aufwand von
Gelehrsamkeit geübte Forschen und Suchen nach dem
Original hat bei den Kunstwerken des unpersönlichen
China keinen rechten Sinn.

ln diesem Zusammenhang dürfte es nicht unange-
bracht sein, über die Wertschätzung signierter Bilder, die
sich als Originale ausgeben, ein Wort zu sagen. Es ist
in den chinesischen Malbüchern überliefert, daß die Ge-
wohnheit, Bilder mit Namen zu zeichnen, erst in der
Sungzeit (960—1278), der Glanzepoche der chinesischen
Malerei aufkam. Dem unpersönlichen Zuge dieser großen
Zeit entsprechend, hat sich die Signatur nur schüchtern
hervorgewagt. Ursprünglich auf der Rückseite der Bilder
angebracht, tritt sie erst später, jedoch kaum unterscheid-
bar, etwa auf einem Baum oder Felsen der Bildfläche auf.
Später wird sie in der Ecke oder an der Seite des Bildes
abgesondert sichtbar und drängt sich — Ironie des
Schicksals — in den folgenden Epochen umsomehr her-
vor, je weniger Originalität den Bildern innewohet. Dem-
gemäß werden also alle Bestimmungen, die Bilder aus
der der Sungzeit vorangehenden Tangepoche (618—960)
— wenn solche überhaupt im Originale vorhanden sind,
was Autoritäten bezweifeln — zum Gegenstände haben,
mehr oder weniger dem Reiche der Phantasie angehören.
Es werden solche Bilder mit umso größerem Mißtrauen
zu betrachten sein, als sie gewöhnlich Sternen erster
Größe am chinesischen Kunsthimmel, wie Wang Wei,
Wu Tao Tse (japanisch: godoshi) oder Han Kan zuge-
schrieben werden. Es hat auf ostasiatischem Kunst-
gebiete wahrhaftig wenig Berechtigung, wenn man nicht
gerade Museumsdirektor oder Antiquitätenhändler ist, ein-
gehend Nachforschung über die Echtheit von Bildern an-
zustellen. Ein Wort Liebermanns räumt wie ein Sturm-
wind mit einschlägigen Bedenken auf: „Was kümmert

uns die Echtheit eines Kunstwerkes! Was des Meisters
würdig, ist echt.“

Es ist heutzutage nicht leicht, sich über den künst-
lerischen Standard einer chinesischen Kunstepoche ein
einigermaßen zutreffendes Urteil zu bilden. Die ein-
heimischen Malanleitungen, Kritiken und Kunstgeschichten,
deren es zu allen Zeiten eine große Anzahl gegeben hat,
begnügen sich in der Regel mit einer Zusammenstellung
meist unzusammenhängender biographischer Notizen und
Anekdoten über den Künstler, haben aber gewöhnlich mit
seiner eigentlichen Kunstübung recht wenig zu tun, oder aber
sie bringen eine Zusammenstellung seiner berühmtesten
Bilder, in deren Würdigung über die gewöhnlichsten
Gemeinplätze kaum hinausgegangen wird. Nähere Aus-
führungen über die Manier der Künstler oder gar Ver-
gleiche der Maler untereinander sind nur vereinzelt, stil-
kritische Betrachtungen oder solche über malerische Welt-
anschauung überhaupt nicht anzutreffen, wie denn diesem
„utilitaristischen Bauernvolke“ die Gabe metaphisischer
Spekulation so gut wie versagt ist. Ist also die Literatur
als Fundgrube für das tiefere Verständnis von problema-
tischem Wert, so ist es der Chinese von heute, beziehungs-
weise die hier in Betracht kommende gebildete Literatur-
klasse in noch höherem Maße. Ich glaube nicht zu
übertreiben, wenn ich sage, daß, wenn in China in den
letzten drei oder vier Jahrhunderten große Kunstwerke
entstanden sind — was Forscher wie Fenollosa bestreiten
— dieselben nicht unter der Ägide, sondern geradezu
gegen den Geist der oberen Zehn- oder Hunderttausend
geschaffen wurden. Und ich teile vollkommen die An-
sicht des eben genannten Amerikaners, der dem Mandarin
von heute überhaupt die Fähigkeit abspricht, auch nur
zu ahnen, was ein wirkliches Kunstwerk der Lungzeit be-
deutet. Wie anders wäre es möglich, daß für eine ge-
wisse Alterspatina aufweisende Machwerke, wenn sie nur
eine bekannte Signatur tragen, deren Unechtheit nicht
gerade nachgewiesen ist, hohe Preise verlangt und ge-
zahlt werden, während unsignierte Kunstwerke oft um ein
Geringes zu erstehen sind.

Der europäische Sammler oder Kritiker wird deshalb,
ohne der jeweiligen Signatur allzuviel Gewicht beizu-
messen, gut daran tun, eine möglichst große Anzahl von
Bildern in Augenschein zu nehmen. Auf diese Weise
wird er nach und nach in den Stand gesetzt sein, die
charakteristischen Merkmale, welche die Kunstwerke einer
bestimmten Epoche kennzeichnen, würdigen zu lernen
und in der Folge auch die gewissen Künstlern und deren
Nachahmern eigentümliche künstlerische Handschrift, die
in der ostasiatischen Kunst der Linie prägnanter als bei
uns hervortritt, zu erkennen. Ist er z. B. bezüglish eines
Rollbildes nach Prüfung der äußeren Merkmale zur Über-
zeugung gelangt, daß es sich um ein Werk der Ming-
epoche handelt, so wird die beigesetzte Signatur eines
dieser Epoche angehörigen Malers ihm eine Art Genug-
tuung und gleichzeitig erhöhte Gewißheit verschaffen,
wobei freilich die Frage noch offen ist, ob die Signatur
echt und ob das Bild Original oder Kopie ist, Momente,
die aber, wie wir gesehen, für die Wertschätzung ost-
asiatischer Kunstwerke weniger ins Gewicht fallen. Wie
große Vorsicht bei der Beurteilung der Echtheit chine-
sischer Malereien am Platze ist, lehrt ein bei E. A. Voretzsch

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