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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Januarheft
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Schuchhardt, Carl: Der Baum als Segel
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0183

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Det? Baum als Segel

oon

Cavl Scbucbbaüdt

Tn einer Unterhaltung mit unserm besten Kenner des
* antiken Schiffswesens, Herrn Geh. Sanitätsrat Ernst
Assmann, ging mir neulich plötzlich die Bedeutung von
ein paar vorgeschichtlichen Darstellungen auf, die bisher
immer rätselhaft gewesen waren. Und da es sich um
einen wichtigen Punkt alter Kultur überhaupt handelt,
darf davon auch hier vielleicht die Rede sein.

Es kommt bei nordischen Rasiermessern der Bronze-
zeit öfter vor, daß die Randverzierung in Schlangen-
windungen umbiegt und zu einer Schiffsdarstellung wird,
und bei einigen Stücken in Kiel und Kopenhagen ist in
die Mitte des Schiffes ein merkwürdiges mit einem
Schaft aufragendes Gebilde, von dem rundliche Seiten-
lappen links und rechts niederhängen, gesetzt. (Abb. 1, 2).
Man hat es bisher

für einen primi-
tiven Mast mit
Segelgehalten. Die
rundliche Form,
gab man zu, sei
dafür sonderbar,
aberentwederhabe
der unbeholfene
Künstler es nicht
besserdarzustellen
verstanden oder er
habe eine Vorliebe
für die gebogene
Linie gehabt, wie
ja auch seine son-
stige Verzierung
zeige.

ln jenem Ge-
spräche mit Herrn
Assmann handelte
es sich um einen
noch in der Mitte
des 19. Jahrhunderts beobachteten Brauch malayischer
(Mentawei) und amerikanischer (Guyana) Völker, die
statt des ihnen unbekannten Segels einen Busch in
ihr Boot stellten und so einen sehr brauchbaren
Windschub gewannen. Ein paar Darstellungen von
Reisenden jener Zeit, von denen wir eine von Crevaux:
Voyages dans l’Am6rique du Sud 1883 S. 156 hier
wiedergeben, (Abb. 3), zeigen das Verfahren sehr an-
schaulich. Der Palmbaum steht vorn im Boote, an-
scheinend in eine Bank eingelassen, ein Mann sitzt
hinter ihm und hält ihn an einem Seile, das etwa in der
Mittelhöhe des Baumes befestigt ist. Hinten sitzt ein
zweiter Mann und steuert mit einem Paddelruder.

Dabei dachte ich an unsere Rasiermesserbilder.
Wenn für sie der nordischen Flora entsprechend eine
Birke oder Weide als Vorbild gedient hat, wäre die Form

wohl erklärlich. Für einen Mast mit Segel paßt sie gar-
nicht, denn es fehlt immer das Wesentliche und Bezeich-
nende des Segels, die Raa, die Querstange, ohne die
sich das Tuch am Maste nicht ausspannen läßt. Aber
hieße es nicht die Umwohner der Nordsee für allzu
rückständig ansehen, wenn man ihnen noch im 7. oder
6. Jahrhundert vor Chr. die Kenntnis des Segels nicht
Zutrauen wollte, zu einer Zeit, wo in Griechenland die
homerischen Schilderungen von Odysseus Fahrten in
aller Munde waren?

Die Kultur ist ein launiger Bote. Manche Wege macht
sie eilig und beflissen und andere scheint sie rein zu ver-
gessen oder zu verachten. Von den Schweden, den Suiones
hebtTacitus hervor (Germania 44), daß sie noch zu seiner

Zeit das Segel
nicht kennen, von
den Batavern be-
richtet er(Hist.5,|?)
daß sie in ihren
Schiffen mit auf-
gespannten Män-
teln den Wind auf-
fingen ; ja selbst
an dem berühmten
Nydamer Boote,
das ganz mit
Opfergaben gefüllt
im Moore gefun-
den wurde und
den Hauptschatz
des Kieler Mu-
seums ausmacht,
ist noch keinerlei
Vorrichtung zum
Setzen eines Mas-
tes zu erkennen.
So ist offenbar
der Nordsee ganz erstaunlich lange die Kenntnis des
Segels vorenthalten geblieben, und es steht nichts im
Wege, die Rasiermesserbilder auf den Busch zu
deuten.

Neuerdings ist nun die Frage gestellt worden, ob
nicht auch ein Bild, das durch einen Aufsatz aus
Hoernes’ Nachlaß wieder in die Erinnerung gerufen wurde,
auf das Segeln mit dem Busch zu deuten wäre. Es ist
eingeschnitten in die Platte eines goldenen Siegelringes,
der 1909 auf der Insel Mochlos bei Kreta in einem
Grabe gefunden, aber schon im folgenden Jahre aus dem
Museum zu Kandia gestohlen ist. Schon deshalb bilde ich
das Stück hier gern noch einmal ab (Abb. 4). Bei der
heutigen starken Bewegung im Kunsthandel taucht es
vielleicht auf und kann, wenn sein Bild vielen Sammlern
vor Augen gekommen ist, erkannt und zur Stelle ge-

Abb. 1 und 2. Bronzene Rasiermesser in Kopenhagen (1) und Kiel (2). Natürl. Gr.

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