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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Januarheft
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Zimmermann, Ernst: Die "Marcolinizeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0185

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Die „Jvtaüeoltnteett“

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Die sogenannte „Marcolinizeit“, d. h. jene von 1774
bis 1815 reichende Periode der Meißner Manufaktur,
da der Graf Camillo Marcolini, der Günstling und Freund
des damaligen Kurfürsten, dann König Friedrich August
des Gerechten Vorstand und auch bestimmend auf sie
einwirkte, durch den der „Schwertermarke“ der Manu-
faktur stets beigefügten sechs-
strahligen Stern für jeden,
der sich mit altem Meißner
Porzellan abgibt, so leicht
erkennbar, hat im allgemeinen
bei allen, die glauben, etwas
von diesem zu verstehen,
keinen allzu guten Klang.

Man kauft nicht gern die
Sachen dieser Zeit, geschweige
denn, daß man sie sammelt
und nur der Umstand, daß
vielen Liebhabern von altem
Porzellan heute die für die
Erzeugnisse der anderen
Perioden geforderten Preise
zu unerschwinglich sind, ver-
schafft ihnen heute schon
gelegentliche Abnehmer. Ge-
ringschätzigkeit ist daher im
allgemeinen bisher ihr Los
gewesen, diese aber die Ur-
sache, daß man sie sich
bisher wohl viel zu wenig
angeschaut und sich bemüht
hat, einen wirklich klaren
Überblick über sie zu ge-
winnen. Wobei allerdings
zur Entschuldigung dienen
kann, daß eigentlich nirgends
recht, weder in öffentlichen
noch in privaten Sammlungen,
ein hierzu ausreichender Be-
stand sich bisher zusammen-
gefunden hat. Allein die
Dresdener Porzellansamm-
lung bildet hier eine rühm-
liche Ausnahme, dank dem
Grafen Marcolini selber und
seinem glücklichen Einfall,
dem älteren Bestände derselben einen großen Teil der
unter seiner Leitung entstandenen Arbeiten hinzuzufügen,
ein Zeichen, daß er selber auf diese wohl doch ein wenig
einst stolz gewesen ist. Sie sind späterhin durch An-
käufe und Schenkungen beträchtlich vermehrt worden.

Wer aber diese betrachtet und auch sonst auf die
Erzeugnisse dieser Zeit mehr achtet, der wird doch bald

wohl erkennen, daß sie nicht ganz die bisher ihnen so
allgemein zuteil gewordene geringe Bewertung verdienen.
Bedenkt man, was sonst an alten Porzellanen gesammelt
wird — und hier braucht man in dieser Beziehung wohl
nur auf die so mancher der alten Thüringer Fabriken
mit ihren oft geradezu kindischen Produkten hinzuweisen

— so wird man bald wohl
zu dem Schlüsse kommen,
daß hier eine nicht ganz weg-
zuleugnende Ungerechtigkeit
vorliegt, die nur in der Wir-
kung eines starken Vorurteils
ihre Ursache haben kann,
die aber, sofern die Wissen-
schaft wirklich ihre Aufgabe,
die Wahrheit zu ergründen,
erfüllen will, kein Recht hat,
fortzudauern. Zwar das steht
fest: eine Zeit, wie die des
Meißner Porzellans im Barock
und des Rokoko ist die
Marcoliniperiode nicht ge-
wesen. Sie hat weder die
Höhe noch die Qualitäts-
Gleichheit dieser erreicht.
Auch war die Zeit, da sie
tonangebend war, für alle
übrigen Porzellan - Fabriken
für sie endgiltig vorüber. In
dieser Beziehung waren an-
dere an ihre Stelle ge-
treten. Aber der Durch-
schnitt der Leistungen
stellt sich dennoch als
recht achtunggebietend her-
aus und daneben gab es
doch auch so manche, die
getrost den Vergleich mit
denen aller übrigen Manu-
fakturen dieser Zeit und
selbst der besten, noch
heute auszuhalten vermögen,
die darum wohl einer stär-
keren Beachtung wert sind,
als ihnen bis heute zuteil
geworden. Es darf auch
auf diesem Gebiete nicht immer das Bessere der Feind
des Guten sein.

* *

*

Nicht gerade leicht hat es der Graf gehabt, als er
die Leitung der Manufaktur 1774 übernahm und sie dann
durch den langen Zeitraum von vierzig Jahren weiter
führte, derselben eine gewisse Höhe zu bewahren, die

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