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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Maiheft
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Kunstauktionen / Kunsthistoriker im Kunsthandel / Kunstausstellungen / Gefährdung der Altertumsammlung im Dresdner Großen Garten / Londoner Kunstschau / Aus dem Pariser Kunstleben / Schweizerische Kunstchronik / Vom holländischen Kunstmarkt / Die Künstler im Reichswirtschaftsrat / Bibliographische und bibliophile Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0372

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künstlerisch den Erwachsenen mehr zu sagen hat als den Kindern
ist durchaus kein Beweis dafür, daß es die Aufgaben einer
Jugendschrift nicht löse. Denn gerade die ewig jungen Meister-
werke des Weltschrifttums ändern sich ebenso den verschiedenen
Lebensaltern, wie sie sich den verschiedenen Zeitaltern geändert
haben. Wenn anders die Knaben, anders Grotius den Text lesen,
bedeutet das schließlich nichts weiter, als das Bücher, die Lebens-
und Menschheitsspiegel sind, dem Leser nur immer seine Gestalt
zeigen. Eine lange Liste von solchen Werken ließe sich auf-
stellen, die die meisten allzufrüh kennen lernen, um überhaupt
ihren vollen Wert zu würdigen. Der Erwachsene greift ungern
zum einmal fortgelegten Kinderbuch. Darin liegt auch eine Er-
klärung, weshalb ebenso der erlösende Humor des Cervantes in

ist und seitdem in zahlreichen Neudrucken und Übersetzungen
verbreitet wurde, mit einemmal von dem vollen Glanze eines
Weltbuches umgeben. Sein Historiograph, das versteht sich für
ihn von selbst, hat sich nicht mit einer der recht beliebt ge-
wordenen bibliographischen Kompilationen begnügt, die zur Aus-
stattung eines Neudrucks auch eine mehr oder minder richtige
Bücherliste hinzufügen und treuherzig versichern, die in ihr nicht
vorhandenen Titel seien belanglos, wofern es sich nicht über-
haupt um „unauffindbare“ Ausgaben handele. Diese Arbeit ist
aus einer langjährigen Beschäftigung mit ihrem Gegenstände
hervorgegangen und konnte deshalb sich auf das für ihn wichtige
beschränken, wobei sie zu teilweise neuen Ergebnissen gelangte,
die man am besten aus der Monographie, die gleichzeitig die

Zwei Meißener
Deckeldosen
(ca. 1730)
und eine
Menecy-Dose.

Sammlung
E u ge n von
Wassermann.

Auktion bei
Rudolf Lepke, Berlin.

seinem unvergleichlichen Don Quixote wie die bitterböse Menschen-
verachtung Swist’s in den Gulliver-Reisen vielen, die diese Bücher
gelesen und gründlich gelesen haben, unbekannt bleiben. Sie
haben nur in verschönernden und versöhnenden Bearbeitungen
den Stoff der beiden Meisterwerke sich zu eigen gemacht und
sind dann niemals wieder auf den Gedanken gekommen, auch
einmal den richtigen Text zu lesen. Die Bearbeitung, die Bürger
den Münchhausen-Geschichten gegeben hat, diese ebenso form-
gewandte wie geistreiche Bearbeitung, deren heiterer und über-
legener Weltmannston ein ganzes Bündel alter Lügen zu einem
einheitlichen Paradoxon zusammenstimmt, steht auf dem Bücher-
brett der Kinderstube neben dem Chamisso-Märchen vom Peter
Schiemil und die älteren lächeln, wenn sie den begeisterungs-
frischen jungen Leser über Büchern antreffen, die einst auch
ihnen viel Freude gemacht haben, wie es wohl heißt. Warum
aber einst? Diese Bücher könnten ihnen jetzt, wo sie sie ver-
stehen, noch eine sehr viel größere Freude machen, wofern sie
sich ihnen nur wieder nähern wollten. Allzugroße Beliebtheit ist
für ein Buch immer gefährlich, erblickt es der Erwachsene erst
in den Händen der Jugend, dann wendet er sich mit mildem
Verstehen ernsthafterer Lektüre zu und liest die Zeitung zum
zweitenmal. Es ist also beinahe eine Art Ehrenrettung, die
eine von dem bekannten Berliner Bücherhändler und -Kenner
Martin Breslauer herausgegebene Reihe: Biblio-

graphien und Studien eröffnende, Bibliotheca
Schlemihliana (an Verzeichnis der Ausgaben und Über-
setzungen des Peter Schlemihl. Mit 9 unveröffentlichten Briefen
Chamissos, 6 Bildbeilagen und einer Einleitung herausgegeben
von Philipp Rath. Berlin, Breslauer: 1920) dem Mann ohne
Schatten verschafft, weil eine so ausführliche und sorgfältige
Buchgeschichte, die in so vortrefflicher Ausstattung erscheint,
doch schließlich einem beachtenswerten Werk gewidmet sein
wird. (Überlegen die Vernünftigen.) Auf ihrem Unterbau ist
Peter Schlemihls wundersame Geschichte, mitgeteilt von Adalbert
von Chamisso, die 1814 zum erstenmale in Nürnberg erschienen

abgeschlossene Vorarbeit einer ersten textkritischen Ausgabe des
Schlemihl ist, selbst kennen lernen sollte, zumal sie mancherlei
Unbekanntes bringt. Ihr in der eigentlichen „Bibliotheca Schle-
mihliana“, der Bibliographie gezogenes Facit wird den Sammel-
eifer spornen. Zumal das Begehren der illustrierten Chamisso-
Ausgaben, die mit Illustrationen von George Crnikshank,
Adolf Schrödter und Adolf Menzel beginnen, wird
reger werden. Ist doch das ikonographische Problem, das den
Buchkunstfreund an der Reihe der illustrierten Ausgaben eines
Werkes reizt, nicht bloß ein ästhetisches, sondern auch ein
eminent kulturhistorisches. Die Aufnahme eines Werkes zeigt
sich in den Bildern seiner Ausgaben, eben jene erst erwähnte
Wandlung seines Wertgehaltes im Verlaufe der Zeiten. Die
Arbeit Rath’s ist in ihrer Art und nicht bloß in ihren Ergebnissen
für den Buchfreund wichtig. Das Beispiel seiner „Bibliotheca
Schlemihliana“ kann den Büchersammler lehren, wie er sich
bibliographisch ein bibliophiles Thema zu eigen macht. Das
eindringliche Sachverständnis, die liebevolle Sorgfalt, mit der in
ihr zusammengetragen wurde, was nun, in seinen Verhältnissen
zum Ganzen genau bestimmt, in klarer Ordnung übersichtlich
wird, sind freilich zu einem Werke wie diesem erforderlich.
Mehr erforderlich, als die großen Mittel. Sehr viele der hier
verzeichneten Ausgaben waren billig zu haben und sind teilweise
noch im Handel. Aber es kommt eben darauf an, ein amüsantes
und interessantes Thema zu finden, das die Spezialisierung lohnt
und dann darauf, es auch erschöpfen zu können. Das Vergnügen,
das der Bibliograph und der Bibliophile bei der Lösung der-
artiger Aufgaben empfindet, läßt sich dem Forschen und Suchen
eines Schachproblemspielers vergleichen. Unerwartete Wider-
stände zeigen sich auf Schritt und Tritt, je mehr alles vorwärts-
zuschreiten scheint. Schon glaubt man die glückliche Hand auf
einen vergessenen Verlagsrest legen zu können, um dann zu er-
fahren, daß es den alten Verlag nicht mehr gibt. Man verfolgt
in den Verlagsverzeichnissen die Verlagswechsel und wird in
ihnen plötzlich auf Druckeigentümlichkeiten hingewiesen, die

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