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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1./2. Juliheft
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Darmstaedter, Ludwig; Schuster, Julius: Die Dokumenten-Sammlung Darmstaedter der Preußischen Staatsbibliothek: Ihre Bedeutung für die Geschichte der Kunst und Wissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0424

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Geister heranzuziehen“. Und schon 1812 hatte Goethe
aus Karlsbad an F. H. Jacobi geschrieben: „Wie leicht

gibt jeder den Beitrag eines solchen Blattes, das sonst
verloren ginge und dessen Wert derjenige vorzüglich zu
schätzen weiß, dessen Denkart im Alter einer historische
Wendung nimmt“. Ja so sehr steigerte sich Goethes
Sammeleifer, daß er später Handschriften bedeutender
Engländer wünscht „und wenn es auch nur die Namens-
Unterschrift oder wenige Zeilen wären“.

ln diesem durch Goethe vorgezeichneten Kreise be-
wegte sich denn auch fernerhin das übliche Autographen-
Sammeln. Aber nicht mit Unrecht wurde dieser Art der
Sammlung der Vorwurf einer oberflächlichen Beschäftigung
gemacht und oftmals von Seiten der Persönlichkeiten,
die um Beiträge für solche Sammlungen angegangen
wurden, ganz ungerechtfertigte Geringschätzung entgegen-
gebracht.

Im Gegensatz hierzu steht die durch Stiftungsakt
vom 31. Dezember 1907 von Prof. Darmstaedter der
Preußischen Staatsbibliothek als Gabe zur Eröffnung des
neuen Gebäudes dargebrachte Autographen-Sammlung.
Sie ging aus einer Sammlung der ersteren Art hervor
und wurde aus dieser gleichsam als eine Galerie der
Pioniere und Bahnbrecher in Kunst und Wissenschaft
ausgeschieden, die ein historisches Bild der Entwicklung
der Wissenschaften wie der Künste geben sollte.

Dieser Sammlung entsprangen dann auch die von
dem einen von uns in Gemeinschaft mit Prof. Ren£ du
Bois-Reymond herausgegebenen Tabellen zur Geschichte
der exakten Wissenschaften, die unter dem Titel
„400 Jahre Pionierarbeit in den exakten Wissenschaften“
und in ihrer zweiten Auflage als „Handbuch zur Ge-
schichte der Naturwissenschaft und der Technik“ er-
schienen.

Wie die Sammlung zur Entstehung dieser Tabellen
beitrug, so entwickelte sich späterhin unter dem Einfluß
der Tabellen die Sammlung selbst wieder auf eine höhere
Stufe, indem sich aus ihnen vielfach Gesichtspunkte zur
Vermehrung der Sammlung ergaben. So konnte dem
Buche namentlich eine größere Anzahl von Namen von
Forschern entnommen werden, die zum Teil erst nach
ihrem Tode voll gewürdigt und dann nur dem Fachmann
bekannt wurden, während sie erst viel später der All-
gemeinheit von historischem Interesse wurden. Eines
der schönsten, aber durchaus nicht das einzige Beispiel
hierfür ist der Geistliche Gregor Mendel, der Newton
der Biologie, der 1865 im Klosterstift St. Thomas zu
Brünn jene klassischen Vererbungsexperimente an Pflan-
zen ausführte, welche die Wissenschaft erst 1900 in ihrer
Tragweite erkannte und seitdem in eigens dazu ein-
gerichteten modernen Laboratorien auf breiter Basis
weiter verfolgte; bilden sie doch die exakte Grundlage
der Vererbungsgesetze und Vererbungslehre, deren Erkennt-
nisse auch für alle Gebiete menschlicher Betätigung von
größter Bedeutung sind. Einige durch einen glücklichen
Zufall erhalten gebliebene Briefe Mendels bergen weit
mehr als seine in den Schriften des Brünner naturwissen-
schaftlichen Vereins verborgene Abhandlung, so daß die
Wissenschaft, als sie dafür reif war, unmittelbar aus

jenen Briefen neue Anregung schöpfen und fortschreiten
konnte.

Die üblichen Autographen - Sammlungen umfaßten
neben Größen der Literatur und Kunst vor allem Fürsten,
Staats- und Kriegsmänner, kurz besondere Berühmtheiten,
wobei Stücke der historischen Vergangenheit besonders
bevorzugt wurden. Deshalb erschien es angebracht, den
ohnehin nicht mehr zutreffenden und irreführenden
Namen „Autographen-Sammlung“ fallen zu lassen und
ihn durch die richtigere Bezeichnung „Dokumenten-
sammlung“ zu ersetzen, womit das Leitmotiv der Samm-
lung besser zum Ausdruck gebracht wird. Auch der
Inhalt der Sammlung wird dadurch besser charakterisiert:
denn jetzt ist auch im Gegensatz zur Autographen-Samm-
lung der eigenhändig Unterzeichnete Schreibmaschinen-
brief der Gegenwart ebenso Gegenstand des Sammelns
wie eine künstlerische Reproduktion mit Signatur. Ja
der Künstlerbrief erhält durch die nicht selten darin ent-
haltenen Skizzen eine besondere Note, die ihn Künstlern
wie Kunstschriftstellern als Dokument zur historischen
Entwicklung der Kunst besonders wertvoll macht. Sinn-
gemäß gibt es für die Dokumenten-Sammlung auch keine
Doubletten, da sie ihr Archiv nicht nur nach der Zahl
der Persönlichkeiten erweitert, sondern auch nach der
Zahl der inhaltlich historisch wertvollen Handschriften
derselben vertieft.

Es ist nicht bloß eine Pflicht der Pietät, sondern
auch eine Forderung und Förderung der Kunst und
Wissenschaft, die Erinnerung an die Männer wachzu-
halten, die für sie Großes geleistet haben und die Wege
zu zeigen, die sie gegangen sind. Gerade die neue Zeit
stellt der Sammlung wichtige Aufgaben, an denen mitzu-
wirken sie berufen ist. Es ist die Pflege des historischen
Sinns auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft.
Aber, so wird man fragen, was kann man aus der Ge-
schichte lernen? Freilich kein Erzieher der Welt vermag
es, aus einem wenig begabten Menschen ein Genie zu
machen, und ebensowenig kann die historische Belehrung
Bahnbrecher hervorrufen. Wohl aber kann sie zeigen,
welche Wege die Bahnbrecher gegangen sind, wie sie
gekämpft und gesiegt, erkannt und geirrt haben. Das
Licht, das Briefe bedeutender Persönlichkeiten auf die
Werkstätten der menschlichen Forschung fallen lassen,
kann verwandte Geister zu gleicher Großtat veranlassen.

Am meisten trifft dies zu für die Geschichte der
großen technischen Pfadfinder, die mehr als bisher
Gegenstand der Volksbildung sein sollte. Arkwright,
der Stephenson des Spinnereiwesens, ist nur ein Beispiel
für viele, die in der Technik klein anfingen und in erster
Linie durch zähe Ausdauer sich emporarbeiteten: er war
das jüngste von dreizehn Kindern und versuchte sein
Glück zuerst als Barbier. Borsig begann als einfacher
Zimmermann, Krupp als Schlosser, Edison als Zeitungs-
junge.

Aber noch in vielen anderen Richtungen kann die
Verwertung der Dokumente von Nutzen sein. Sie geben
das Bild der schöpferischen Persönlichkeit in größter
Unmittelbarkeit und schließen die Gestalten der Großen
von der menschlichen Seite her auf. Wie die ungestörten

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