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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Maiheft
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Paschkis, Erwin: Auf- und Abstieg im Wiener Kunstgewerbe: zur Wiener Frühjahrsmesse
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0498

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Aufc und Abftteg tm IDtenet?
Kunffgetüet’be.

Eut? LÜtenet? pDÜbjabPsmefTe 1922.

Wenn jemand vor 10 Jahren die Verbreitung des wahren
und des Pseudokunstgewerbes vorausgeahnt hätte, wäre es ihm
gewiß selbst dann unmöglich gewesen, den entfesselten Geistern
Halt zu gebieten. Aus edelsten Motiven ist das Wort Kunstge-
werbe geprägt worden. Das Bestreben, künstlerisch gedachten und
praktischen Hausrat zu schaffen, hatte die Sezession auf ihr
Banner geschrieben; der Impressionismus hat es geboren, das
Zeitalter des Expressionismus ist im Begriffe, es zu vernichten. —
Was vor dem Kriege Eigentum der denkenden Hand, wenn man
so sagen kann, gewesen, ist nun, verballhornt und dem Spott des
Philisters ausgesetzt, zur Exportware nach dem Balkan geworden.
Begriffsbestimmungen sind frei; das Wort Kunstgewerbe vermag
auch gesetzlich nicht mit dem Panzer versehen zu werden, der es
von der Verwandschaft mit Patentrasiermessern u. a. m. schützen
könnte.

Begonnen hat das Unglück mit der — sit venia verbo —
Batikmanie. Vor gerade einem Dezennium befiel der Wahnwitz,
unbedingt alles zu batiken, die deutschen Lande und — die
deutsche Frau. Diese wunderbare Kunst wurde sofort mißver-
standen; man benutzte in den neuerstandenen Schulen für Kunst-
gewerblerinnen jedes Textilstück, um sich darauf in wilden
Mustern und noch wilderen Farben auszuleben. Trotzalledem ist
diese Mode eben nur eine Mode geblieben; dem Künstler ist sie ein
edles Kunstverfahren, Gemeingut wurde sie nie und sollte es auch
nicht werden.

Diese sehr leicht zu erlernende Fertigkeit wurde aber bal-
digst der Angelpunkt einer Art Erzeugung, die weit über den
Rahmen künstlerischen Hausrates hinausgriff. Eine wahre
Flut von „Ramsch“ oder „Gschnas“ brach über die deutschen
Völker herein. Stoffpuppen, Schachtelwerk, Papierfiguren, Woll-
püppchen, falsche Teddybären, Pölster — diese ein würdiger Er-
satz für „Nur ein Viertelstündchen“ — und so weiter in endloser
Reihe. Das Kriegsende überfiel uns und damit eine Lawine von
Unsinnsware, ausgespien von Ateliers und Werkstätten, die von
verarmten Frauen guter Stände begrüßt und bald tonangebend
wurden.

Die wenigsten öieser verzweifelt um ihre Existenz kämpfen-
den Frauen hatten die Möglichkeit, ihre Ware ins Ausland zu
bringen. Gute Bekannte sorgten für ihren Absatz und beglückten
die Heimat mit dem jeden gesunden Volkgeschmack niedertreten-
den Schund. Und als ebenso verderbliche und moralisch tiefer als
jeder Schieber zu wertende Konkurrenz trat eine Schar hyste-
rischer Damen wohlbegüterter Kreise auf den Plan, die aus Un-
verstand und Unverstandenheit den armen Kunstgewerblerinnen
mit ihrem eigenen Produkt Konkurrenz machten; fragt man sie,
was sie wollen, so sagen sie, deren Existenz wohlfundiert ist:
Wir müssen auch verdienen, jede Frau muß das jetzt . . .

All dies geht einem durch den Kopf, wenn man eine Menge
solcher Arbeiten nebeneinander sieht. Wohlbemerkt, nicht einen
Lehrer und seine mehr oder weniger begabten Schüler und Schü-
lerinnen, sondern die entfesselte Masse einer Gewerbeschau, wo
Serienerzeugung und Einzelwerk wild durcheinander unter dem
Begriff Kunstgewerbe einhersegeln. Die Wiener Messe bot —•
wir zweifeln nicht und hoffen, daß unsere Brüder im Reich doch
weniger Pofel zu sehen bekommen — einen derartigen gewiß teil-
weise ungewollten Überbiick. Gerade das auf Massenabsatz ge-
richtete Kunstgewerbe, das Zeichen eines verarmten Staates, der
seine Fähigkeiten ins Joch balkanischen Reichtums zwingen muß,
ist ein Schreckbild ohne gleichen. Zunächst einmal die Textilien,
Die Batikwelle ist zurückgebrandet, an ihre Stelle trat handge-
malte Ware billigster Art. Petitpoints Stickerei ist eine rotten-
weise geübte Erzeugung geworden, eine Kunst, die, einst eine
Arbeit für Mußestunden, heute im Eilzugstempo exekutiert wird,
aber wenigstens genießbar geblieben ist. Die Wiener Drechslerei
hat ihr jahrhunderte altes Werk jetzt auf Elfenbeinersatz einge-
stellt; der Galalith scheint zwar außer „Mode“ gekommen. doch

liefern andere minderwertige Nachkriegsersatzwaren den Beweis,
daß es so nicht geht, ohne dem Ganzen zu schaden. Schirmgriffe
aus weißem Schund, geschnitzt, bemalt mit Chinoiserien, Noten (!!),
Dichterköpfen etc. gehören zum Kunstgewerbe. . . .

All dies liegt, als Kunst handwerk gemeint, auch mit dem
eigentlichen Kunst g e w e r b e zusammen. Da gibt es ein paar
„Werkstätten“, die Puppen *) anfertigen und anziehen, Ver-
zeihung: ausziehen, wenn sie sie überhaupt mit Kleidern versahen.
Es sind dies ganz niedliche Figürchen von Damen in allen mög-
lichen Posen. Ein findiger Belgrader Kaufmann hat voriges Jahr
eine ganze Kompanie solcher Puppen in seinen Laden gestellt —
made in Vinna! — und riesigen Zulauf gehabt. In Wien stehen
sie in vielen Schaukästen verschiedener Art, allerdings überall nur
ein Exemplar: Das „Kunstgewerbe“ als Zugstückchen und Schla-
ger, als Lockvogel für die Ware. Daneben Pölster über Pölster.
Außerdem vorzügliche Wiener Bracken, die noch immer ihren
Rang beibehalten haben. Sie sind einer der wenigen allerdings
teuren Lichtpunkte unseres künstlerischen Handwerks und bleiben
in ihren Themen ziemlich gleich. Ein ganz ungewöhnlich guter
Elfenbeinschnitzer stellt zahlreiche Proben seines figuralen
Könnens aus, die sich von der Galalithindustrie wohl unter-
scheiden. Und unter all dem die Wiener Werkstätte; sie ver-
dient allein besondere Betrachtung, denn in ihren Werken macht
sich jüngst, besonders im Keramischen, ein Dilettantismus ärgster
Art bemerkbar, der im Verein mit elendem Töpfermaterial ihr
ernstes künstlerisches Wollen schändet.

Das Nonsens dieser Exposition liegt aber darin, daß ein
derartiges Unternehmen genötigt ist, mitten in solchem Ramsch
auszustellen, traurig genug. So wären wir beinahe mit dem Guten
fertig, wenn wir nicht noch einen einzigen Stand, den des Prof.
Kühlbrandt, erwähnen wollen. Mit dem Problem des Beleuch-
tungskörpers ist im letzten Jahrzehnt genug herumexperimentiert
worden. Kühlbrandt hat nur 6 Objekte, aber diese sind in Er-
findung und Technik rein; was sonst, durch des Schicksals Tücke
geräde gegenüber, an Lichtkörpern steht —, darüber schweige,
Nächstenliebe.

Bleiben nur noch die Ungarische Werkstätte in Budapest, ein
Gast, dessen metallgetriebene Erzeugnisse gut und infolge ge-
ringerer Löhne als im glücklichen Österreich, wo der Schuster-
geselle an 200 000 Kronen im Monat bezieht — äußerst preiswert.
Und noch ein zweiter Gast, die ungarische Gobelinerzeugung,
deren ehrliches Streben durch das nicht immer gute Material ge-
hindert erscheint.

So sieht das weltberühmte Wiener Kunstgewerbe aus. Soll
man, wenn 100 Stände Ramsch und vielleicht so wirklich Ernstes
zeigen, lachen oder weinen? Sicher wird die sogenannte Kon-
junktur, die jeden Pofel kaufte, abebben, der wahre Kiinstler, der
sich im Hausbau ebenso wie in der Kinderpuppe zeigt, eher und
unbehindert zu Worte kommen. Woran uns aber mehr liegen muß,
das ist die Frage, ob überhaupt ernster künstlerisch möglicher
Hausrat etc. in solchen Zeiten Anwert finden kann. Fast will es
uns scheinen, als ob die letzten 20 Jahre nutzlos verstrichen
wären, ihre Errungenschaften, dem Spott der Nachkriegsfurie an-
heimgegeben, nur von einer kleinen Gemeinde gewürdigt und ge-
kauft werden sollten. Auch in den ernstesten Unternehmungen
macht sich eine spielerische Materialverwendung breit, die jeden
Versuch als Erfolg wertet und zum Verkauf bringt. Der Lehrer
ist es, dem die Pflicht obliegt, das Material seinem Schüler als
edles zu demonstrieren und ihn so von der Möglichkeit, es zu
verramschen, von vornherein abzubringen. Caveant consules!
Das Kunstgewerbe ist mächtig genug, die große bildende Kunst
im Strome mit hinabzureißen. Dazu die immense Überschätzung
des Kunstgewerbes bei Jung und Alt, nur nicht bei den
Künstlern. Und wenn nicht die Nachgebenden bald dazusehen,
verschwindet das wahre Kunstgewerbe, das ein unschätzbarer
Faktor unseres Kulturlebens werden müßte, in einer Flut von
Schund und — Nichtachtung.

Dr. Erwin P a s c h k i s - Wien.

*) Lotte Pritzel, verhülle Dein Haupt!

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