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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

DOI Heft:
1. Oktoberheft
DOI Artikel:
Rosenberg, Marc: Offener Brief an Herrn Gino Fogolari, Direktor der Galerie von Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0063

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an fievvn Gino fogolatn, üivelitov dev Galevie oon Denedtg

Sehr geehrter Herr Kollege!

Sie veröffentlichen in dem eben erschienenen Heft
der prachtvollen italienischen Kunstzeitschrift „Dedalo“
ein spätes vergoldetes Reliquiar, in dem sich ein älteres
Zellenschmelz-Reliquiar befindet. Wenn Sie aucb
keine Gelegenheit gehabt haben, dieses bedentungsvolle
Stiick näher zu besprechen, so haben Sie doch schon
durch die Veröffentlichung allein der Wissenschaft
einen großen Dienst erwiesen. Seit Jahren bemüht
man sich um die Sammlung des Materials für ein „Cor-
])us operum electrinorum“, ein Buch, in dem alle vor-
handenen Zellenschmelze vereinigt werden sollen. Und
nun taucht bei Ihnen mit einem Male ein ungemein wert-
volles Stück dieser Gattung auf, von dem wir in
Deutschland nicht wußten, daß es sich in Venedig in
Santo Stefano befindet. Ich möchte Sie um die Güte
bitten, der Sicherheit halber noch einmal an Ort und
Stelle nachzusehen. Es ist für Sie eine Kleinigkeit, Sie
haben von der Piazza nur einige Minuten zu gehen. Ich
kann nicht bestimmt sagen, welches Resultat die Auto-
psie haben wird, aber ich fürchte fast, daß Sie zu Ihrer
großen Überraschung nur das Renaissancereliquiar,
nicht aber die alte byzantinische Staurothek finden
werden. Sie haben anscheinend das Glück gehabt,
einer Photographie habhaft zu werden, die das Renais-
sancereliquiar vor seiner Beraubung zeigt
und zugleich den eminenten Vorteil bietet, uns das ge-

raubte byzantinische Reliquiar mit Zellenschmelzen in
a 11 e n seinen Feldern vor Augen zu führen. Leider
fehlen aber heute sechs von diesen Zellenschmelzen,
und die, die noch vorhanden sind, wollen — soweit
diekleinen Abbildungen im „Dedalo“ ein Urteil zu-
lassen — nicht vollkommen mit Ihrer Tatel überein-
stimmen. Wir haben also nicht nur eine Beraubung
Ihres Renaissancewerkes zu beklagen, sondern auch
Verluste und Verstellungen am byzantinischen Reli-
quiar. Nach dem Raube ist dieses nie mehr öffentlich
zu sehen gewesen und ist durch seinen ehemaligen
Besitzer — man darf ja wohl nicht sagen Eigentümer —
nur gelegentlich gezeigt worden. In aller Herren
Hände befindet sich aber eine Abbildung durch den
illustrierten Katalog der im vorigen Jahr in Paris
versteigerten Sammlung Engel-Gros, ehemals in Mtihl-
hausen. Den Erwerber kenne ich leider nicht, bekannt
ist mir nur, daß das Stück mit 15 000 fr. ausgerufen und
mit 66 000 fr. verkauft wurde.

Darf ich annehmen, daß der italienische Staat, viel-
leicht durch Sie selbst, sehr geehrter Herr Direktor, be-
raten, das Stück auf der Auktion erworben und in seine
urprüngliche Stelle wieder eingesetzt hat? Oder ver-
hält sicli die Sache irgendwie anders? Ich sehe auf
Ihrer Abbildung sowohl in den Zellenschmelzen selbst
wie in ihren Eassungen fremdartige Züge, die mich be-
fürchten lassen, Ihre Platte könnte retouchiert oder die
Vorlage, die ihr zugrunde lag, überarbeitet sein. Oder

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