Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

DOI Heft:
2. Dezemberheft
DOI Artikel:
Müller, A. W. F.: Erinnerungen an Lichtwark
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0199
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Jahrgang qg92

Hßrausgeber. iXdOlptl Donoitl

2. Dezcmberhcft

QvtnnemnQen an Ucbttoark

oon

A. IÜ. f. jvtüllet; - Jiambut’g

Der Verfasser dieses Aufsatzes trat 1S86 mit Direktor
Lichtwark in den Dienst der Kunsthalle und arbeitete als
sein Amanuensis bis zu dessen Tode 1914 mit ihm in dem
Institut. 1922 mußte er in den Ruhestand treten. Alfred
Lichtwark wäre im vergangenen Monat (14. Novem-
ber 1922) 70 Jahre alt geworden.

J ie Persönlichkeit Alfred Lichtwarks ist so eisen-
artig', seine Wesensart so verschieden von der
anderer bedeutenden Mtinner, daß es erwünscht sein
mag', die Meinungsäußerungen von Leuten zu hören, die
ihm im Leben nahegestanden, sei’s dienstlich, sei’s
freundschaftlich. Es war ein Mann besonderer Art, den
psychologisch zu begreifen, nicht leicht war. Was seine
Berufsgenossen über ihn geschrieben haben, sind Re-
flexionen über seine erfolgreiche weit iiber Deutschland
hinaus gewürdigte Wirksamkeit. Die Sonderart seiner
Tätigkeit wurde weniger in der Entwicklung beobach-
tet, als in den Erfolgen gepriesen. —

Nach Beendigung seiner Studienzeit und nach
seiner Doktorpromotion auf Grund seiner Dissertation
über die deutschen Renaissancemeister, hatte Licht-
wark noch kein bestimmtes Ziel im Auge, dem er sich
hinfort mit ganzer Kraft zuwenden wollte. Angeregt
durch die Vorlesungen von Direktor Justus Brinckmann
studierte Lichtwark Kunstgeschichte. „Der Strom
seiner Interessen fand nun ein einziges Bett: in der
Kunst“ — wie Karl Scheffler schreibt. Seiner Interes-
sen! Wie unendlich viele Interessen hatte Lichtwark!
Alles was der kulturellen Entwicklung seines Volkes

diente, rief sein Interesse wach. AIs ich Ende Septem-
ber 1886 in der Kunsthalle Lichtwark zum ersten Male
sah und sprach, daclite ich mir: der hat einen Gelehrten-
kopf, im Gesichtsausdruck liegt viel Willenskraft, aber
wie bei allen prominenten Persönlichkeiten, wird zeit-
weilige Schroffheit und Eigensinn zu Tage treten. Diese
phrenologische Mutmaßung fand ich später bestätigt.
Ich stand unweit einer alten Dame, der Lichtwark das
Professorenbild von Liebermann begreiflich zu machen
versuchte. Die Dame fällte ein sehr abweisendes Urteil
über das Bild. Da sagte Lichtwark zu ihr:: „Sie werden
das Bild niemals verstehen, Sie sind zu alt zuin Lernen“.
Es war nicht böse gemeint, schroff war es aber doch.
Lichtwark hatte sich so auf seine Ansicht, das jeder
Maler befähigt sein müsse, auch Bildnisse zu malen, ver-
steift, daß ihn gegenteilige Meinungen bedeutender
Künstler nicht andern Sinnes werden ließ, selbst der
Ausfall seiner Bestellungen ftir die Bildnissammlung,
vermochte ihn nicht davon zu iiberzeugen, daß seine
Voraussetzung eine irrige war. Keine Rosen ohne
Dornen! Neben dem Schatten strahlte die Persönlich-
keit Lichtwarks eine so große Fülle Licht aus, daß man
des Schattens nicht achtete. Er war zum Didaktiker
prädestiniert. Aber nicht in der Enge der Schulräume
wollte er belehrend tätig sein, 'er suchte seinen Wir-
kungskreis in der breiten Öffentlichkeit. Er liatte Wis-
sen und Erfahrungen gesammelt, sie waren in ihm auf-
gestapelt, wie die Schätze in seiner Galerie, nicht nacli
Gelehrtenart gesichtet, vielrnehr nach Bedarf zu seiner
Verfügung. Es war erstaunlich, wie Lichtwark, vom

167
 
Annotationen