Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

DOI Heft:
1. Februarheft
DOI Artikel:
Schmitz, Hermann: Deutschland und England im 18. Jahrhundert, [2]: ein Beitrag zu ihren Kunstbeziehungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0286

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Deutßbland und 6ngland 1m 18. labebundeet

Sin Beitßag zu ibccn Kunffbesiebungen

oon

Hemann Scbmit^

Professor Dr. Hermann Schmitz beschließt heute
seinen im 1. Januarheft des „Kunstwanderers“ begon-
nenen Artikel.

j urch die Vermählung Friedrichs I. mit Sophie
C'harlotte aus dem Hause Hannover, deren Bru-
der später als (’.eorg I. den englischen Thron bestieg
und wiederum durch die Vermählung Friedrich Wil-
helms 1. mit Georgs I. Toehter, Sophie Dorothea, wur-
den nahe Beziehungen zwischen dem englischen und
dem preußischen Königshause hergestellt. In dem
Bündnisse Friedrichs des Großen und Braunschweigs
und Hessens mit England trat im siebenjährigen Kriege
die engste Verbrüderung ein. — Indessen hat trotz der
mannigfaltigen Berührungen und dauernden persön-
lichen Beziehungen nach wie vor der französische und
daneben der italienische Geschmack bis über die Mitte
des 18. Jahrhunderts auch an diesen norddeutschen
Höfen die Oberherrschaft behauptet; das zeigt sich ja
mit besonderer Deutlichkeit gerade in den Kunstschöp-
fungen und in den Sammlungen, wie nebenbei auch in
der geistigen Betätigung des großen Königs, der iibri-
gens geläufig Französisch sprach und schrieb, aber kein
Englisch verstand. Daran ändert die Tatsache nichts,
daß Friedrich in den Jahren nach Knobelsdorfs Tod
(1753) einige Bauten in Potsdam nach englischen
Kupfern kopierte, die ihm durch Lordmarschall Keith
und Allgarotti vermittelt wurden.5) Auffallend ist, das
selbst in dem nun mit England durch Personalunion ver-
bundenen Hannover bis zum Tode Georgs II. (1760) von
einer Berührung mit England wenig zu spüren ist; z. B.
vertritt das Architekturwerk des in Göttingen an-
süssigen königlich Großbritannischen und Kurhannove-
rischen Baumeisters Penther durchaus den üblichen auf
Blondel zurückführenden französierenden Stil.

Noch urn die Mitte des Jahrhunderts zeigt sich um-
gekehrt eine Anlehnung des englischen Geschmacks an
das deutsche Rokoko in der Nachbildung von Meißner
galanten C.ruppen in den Porzellanwerken von Chelsea;
und die Anfänge Chippendales gehen auf Anregungen
des französischen Rokoko zurück.

Alle diese bis hierher aufgezählten Berührungen
zwischen Deutschland und England, die sich nocli
weiter vermehren ließen, sind vereinzelte Fälle, die
nicht vermocht haben, die künstlerische Gesamtkultur
bei uns erheblich zu beeinflussen. Es sind mehr Zu-
fallsbeziehungen — derartige Zufallsbeziehungen haben
an sich nur ein kurioses Interesse; es lassen sich dar-
aus keine stilbildenden Momente ableiten. Die kunst-
geschichtliche Forschung muß solche Nebenströmungen

5) Vgl. Kania, Friedrich d. Gr. u. die Architektur Potsdams
3. Aufl.

streng unterscheiden von den Hauptbahnen der Ent-
wicklung, sonst setzen sich solche törichten Ansichten
fest, wie z. B. die der Abteilung der europäischen mittel-
alterlichen Kunst aus dem vorderen Orient.

In dem Jahrzehnt nach dem siebenjährigen Kriege
ändert sich aber plötzlich das Bild, indem nun auf zahl-
reichen Gebieten der Kunst eine entscheidende E i n -
w i r k u n g E n g 1 a n d s auf unser Land zu beobach-
ten ist. Ein deukwtirdiges Ereignis für diesen Um-
schwung ist die Reise, die der Fürst Franz von Dessau
und sein Baumeister Erdmannsdorf im Jahre des Frie-
densschlusses (1763) nach England unternehmen. Das
wichtigste Denkmal, das unter den Eindrücken dieser
und einer zweiten Reise nach England entstand, ist das
Schloß in Wörlitz (1769—1773), das im Inneren heute
noch eines der besterhaltenen deutschen Fürstenschlös-
ser ist. Hier sind nicht nur im Äußeren die strengen
klassischen Formen des englischen Landsitzes im Stile
Chambers verwendet, sondern auch das Innere zeigt in
seinen Wanddekorationen in der Art des Adam, in
seinen Möbeln im Stile Chippendales und Heppelwhites,
in seinen Steingutgefäßen von Wedgwood und von
deutschen Nachahmern, in seinen Farbstichen usw. auf
Schritt und Tritt die unmittelbare Berührung mit Eng-
land. Auch der berühmte Park, der gleichzeitig ange-
legt wurde, ist mit seinen geschlängelten Seen, seinem
Wechsel von rnalerischen Laub- und Nadelholzgruppen,
mit seinen 'rempeln, gotischen Ruinen und Gebäuden 6)
und Felsengrotten und geschwungenen Holz- und Eisen-
brücken das erste und wichtigste Bekenntnis zur engli-
schen Gartenkunst, so wie sie sich kurz vorher unter
Chambers Führung im C.egensatz zu dem geregelten
französischen Gartenstile entwickelt hat. Es sind also
hier alle Zweige vereinigt, und man erkennt mit der
größten Deutlichkeit den völligen Wandel zu klassi-
scher Strenge, der unter der unmittelbaren Fühlung mit
Engiand eingetreten ist. Auf Wörlitz und die weiteren
Bau- und Gartenschöpfungen Erdmannsdorfs richteten
sich die Blicke der aufstrebenden Architektengenera-
tion, der Zeitgenossen des jungen Goethe, und ringsum
in Weimar, Berlin, Schwerin, Braunschweig, Cassel be-
ginnen die Fürsten der neuen Generation dem Dessauer
Hofe nachzueifern. In der Innenraumkunst hat neben
Erdmannsdorf, dessen Königskammern im Berliner
Schloß zu den größten Überraschungen bei der Eröff-
nung des Schloßmuseums gehörten, namentlich der
ältere Langhans die auf mehreren Reisen in England ge-
wonnenen Eindrücke der Adamschen Schöpfungen in

") Vgl. über das Eindringen der Neugotik aus England das
Buch des Verfassers. Die Gotik im deutschen Kunst- und Geistes-
leben, 2. Aufi.

242
 
Annotationen