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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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2. Februarheft
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Schröder, Bruno: Moderne Plastik: Philipp Modrow
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0313

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Typen sind auch andere Arbeiten Modrows, Statuetten
eines Knaben mit einem Ball und eines Jünglings, der,
mit verschränkten Armen, die Hände auf den Schultern,
ruhig dasteht, doch überwiegt hier die formale Schön-
heit, und das Seelische tritt weniger hervör; bei dem
Kinde zeigt sich’s nur in dem unbefangenen Aufblick,
bei dem jungen Manne in der seitlichen Wendung des
Hauptes und der Haltung der Arme, die das Gebundene,
seiner Selbst noch nicht Bewußte der Jünglingsjahre
ahnen lassen.

Der Typenbildung steht das individuelle Bildnis
gegenüber. Man hat dem Impressionismus die Fähig-
keit zur Porträtbildung bestritten, weil ihm alles auf
den Augenblick ankommt, die Aufgabe der Porträts
aber mit dem zufällig erhaschten Moment nicht er-
schöpft ist. Man sollte denken, hier miisse der Expres-
sionismus eingreifen, aber da wird die Aufgabe, ein er-
kennbares Abbild zu geben, durch die der neuen Kunst
notwendig eigene Nichtachtung der Erscheinung gehin-
dert und aufgehoben. Es wird auch hier in den Grund-
lagen alles beim Alten bleiben: Immer werden charak-
teristische Abbilder die von Natur gebotene Lösung
sein; momentan-impressionistisch, wenn Beweglichkeit
und wechselnder Ausdruck für das Modell kennzeich-
nend ist; ruhig, monumental-plastisch bei einem gleich-
mäßig abgewogenen Charakter. Dabei gibt es un-
zählige Zwischenstufen, einbegriffen reine Formen-
schönheit bei einem von Natur schönen Vorbilde und
einfache Naturwiedergabe bei einem Modell, das durch
keine künstlerisch anregenden Eigenschaften ausge-
zeichnct ist.

Modrow hat Bildnisse geschaffen, die den Darge-
stellten getreulich und doch in künstlerischer Formu-
lierung, den Gesetzen der Plastik gemäß, wiedergeben.
In anderen Fällen hat das Modell ihn tiefer bewegt und
freiere Lösungen verlangt. Wir weisen auf das Bildnis
Schriftsteller Latzkos hin. Man versteht sogleich: keine
weltenstürmende Energie, sondern ein feiner, geist-
voller Mensch, der die Leiden der Menschlieit mitleidet,
ihr den Frieden bringen möchte, ein Pacifist.

Auch ein Entwurf zu einem Dichterdenkmal harrt
in Modrows Werkstatt der Bestellung. Er sollte einmal
zu Goethes Andenken ausgeführt werden; aber an dem
J'age, da der Kontrakt ausgeführt werden sollte, wurde
mobil gemacht, Es ist eine Säulenstellung, auf huf-
eisenförmigen Grundriß angeordnet, eine in Vision ein-
gegebene Erfindung, weit ab von jedem bekannten
Schema. Studien endlich nach dem lebenden Modell,
rein um der Bewegung willen oder der reizvollen Glie-
derverschränkung willen aufgebaut, verraten die
Freude des Künstlers an der Erscheinung und am Ge-
stalten, ohne Stilprobleme und ohne Aufwand von
Seelenexaltationen. — Alles zusammengenommen
Zeugnisse einer reichen Begabung, und doch nur Pro-
ben, alle unter sicli verschiedener Art, und docli von
einem Gemeinsamen zusammengehalten, wie Sätze
e i n e s Musikstückes, das Höhen und Tiefen seelischen
Erlebens durchläuft und nacheinander Sehnsucht und

Oual, ernstes Sinnen und Heiterkeit, heroische Feier-
lichkeit und hurtige Jugendlust ertönen läßt.

Wirkte der Künstler in einer Llauptstadt, wo die
Gärungen stärker aufquellen, er würde sich vielleicht
dem modernen Kunstgetriebe nicht entziehen können,
das er wie wenige in seinen Irrtümern, aber auch in
seinem inneren Kern, in seiner Wesenseinheit mit dem
Wirrsal der heutigen Welt begreift. So kommt es seiner
Kunst zu statten, daß er schon so lange, genötigt von
körperlichem Leiden auf einsamer IJöhe in der Schweiz
lebt, und es ist zu bewundern, wie er trotz allem seine
Kräfte zum Schaffen zwingt, wie feurig sein Geist
arbeitet, und wie er, durch die Abgeschlossenheit auf

Philipp Modrow „Knospe“

sich selber angewiesen, mit den Problemen ringt.
Denn Modrow ist kein Talent, das mit erlerntem
Können geschickt hantiert. Ihm kommt die Kunst
aus dem Tnnersten. In seinem Blut kämpft das Erbe
von Ahnen aus verschiedenen Völkern; hellseheri-
sches Gemüt ist ihm ebenso von der Natur überliefert
wie rasche Leidenschaftlichkeit, poetischer J’rieb
ebenso wie handwerkliches Geschick. Viel wunder-
liche Fügungen haben sein Leben begleitet, fruchtloses
Mühen und Förderung durch einsichtige Gönner,
schlimmste Brotarbeit und goldenc Mcdaille, reinstes
Glück irn ehelichen Bunde und schwere Krankheit,
frohes Gelingen im Entwerfen und erbärmliches
Pecli, wenn die Ausführung gesichert schien. Er fiihlt
die Verworrenheit der Zeit und sucht sie in sich zu

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