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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Romdahl, Axel L.: Eine malerische Wendung in Dürers Schaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0537

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dellierung der einzelnen Körper und Gegenstände und
eine malerische Aufteilung der Bildfläche in Schatten,
Lichter und Töne zustande bringen. Und in den
meisten Blättern ist die kompositionelle Grundidee eine
ausgesprochen malerische.

Fs läßt sich ja fragen, ob nicht diese Zusammenstel-
lung von einer Anzahl Zeichnungen, die fast alle 1511
datiert sind oder um diese Zeit sich datieren lassen, zu
einer C.ruppe mit malerischem Stilgepräge etwas will-
kürlich sei. Haben nicht manche andere Arbeiten,
frühere und spätere, dieselben Eigenschaften? Diese
Frage kann mit einem Hinweis auf solche Zeichnungen
beantwortet werden, die zwar anscheinend ähnlich sind,
aber doch in der VVirklichkeit ganz verschieden.
Nehmen wir zuerst Lippmann 348 (Sammlg. Bonnat),
Entwurf zu der Anbetung der Könige in dem Marien-
leben, Bartsch 87. Die leichte, skizzenhafte Behandlung
mit Parallelstrichen ist sicher etwas ähnlich, aber die
Striche fassen die Figuren und Gegenstände nicht zu
Flächen zusammen, die von den plastischen Fortnen un-
abhängig sind. Und in Lippmann 474 (Wien Albertina),
Entwurf zu dent Tode Marias, Bartsch 93, können wir
freilich malerische Wirkungen beobachten, in gewissen
dunkel gehaltenen Köpfen zum Beispiel, aber alle diese
stehen doch isoliert und jede Figur löst sich aus detn
Zusamrnenhange los.

Ciehen wir dann zu einem meisterhaften Blatte aus
einer späteren Periode, die Beweinung, Lippmann 379
(Goll. Robert-Dumesnil), so müssen wir ja bewundern,
wie Dürer es hier verstanden hat mit einer energischen
breiten Behandlung von Lichtern und Schatten die dra-
matische Aufgeregtheit der Szene zu steigern. Aber
wenn wir näher zusehen, ist die Komposition doclt
plastisch gedacht und die Beleuchtung ist an die einzel-
nen Gestalten gebundert, die ungeschmälert ihre skulp-
turale Isolierung aufrecht halten auf Kosteu des male-
rischen Zusammenhanges.

Mit der Gruppe von Zeichnungen aus der Zeit um
1511, die wir oben zur Betrachtung vorgenommen
haben, sind, wie sich schon gezeigt hat, einige graphi-
sche Werke nahe verwandt, Holzschnitte und Kalt-
nadelblätter.

Der Holzschnitt, die heilige Familie, Bartsch 96, ist
sclion besprochen worden. Aus demselben Jahre wie
dieser, 1511, sind noch einige Holzschnitte, in welchen
wenigstens teilweise eine ähnliche Neigung zu dem
Malerischen siclr verspüren läßt. Die Anbetung der
Könige, Bartsch 3, unterscheidet sich von der gleichen
Darstellung im Marienleben, Bartsch 87, durch die Ein-
heit der Bildwirkung, die konsequente und ruhige Be-
leuchtung — siehe wie die Nebenpersonen sich unter-
ordnen und wie die Gebäude des Hintergrundes ge-
dämpft dunkel gegen die Luft stehen.

Die Messe des heiligen Gregor ist ganz mit male-
rischen Mitteln aufgebaut — nur der Engel und die Lei-
denswerkzeuge sind Opfer an das Gegenständliche in
der Erzählung. Wie die knienden Priester zu einer
dunklen Einheit zusammengefaßt sind, wie der Chor-
knabe mit detn Rauchgefäß malerisch interessant auf-
gefaßt ist, wie die Kirchenväter in der Dämmerung ver-
schwinden und sich fast aufzulösen scheinen! Als ganz
gelungen kann rnan aber diesen Versuch nicht bezeich-
nen, Wirkungen, die der Malerei gehören, in die Technik
des Holzschnittes umzusetzen. Der Holzschnitt, wenig-
stens in seiner bisherigen Ausprägung bei Dürer, war
vor allem Zeichnung, Linie, nicht Ton und Fläche.
Gliicklicher sind die malerischen Absichten iir dem Holz-
schnitt, Bartsch 126, „Die Tochter des Herodias bringt
das Haupt Johannes des Täufers“, zutn Ausdruck ge-
kommen. Wie ist der ganze Rythmus der Kompositiorr
mit den Mitteln des Lichtes und der farbigen Werte zu
Stande gebracht! Die grell beleuchteten horizontalen
Streifen im Kontrast zu kräftig dunklen Flächen gebeir
dem Bilde eine energische Gliederung. Die tiefschwar-
zerr Schatten links vom Tische brechen die Gleich-
mütigkeit und lenken die Aufmerksamkeit auf das irrlralt-
liclr Wichtige. Dabei sind sowohl der Kopf Salomes wie
das Airtlitz des Täufers im Schatten. Urrd das Licht
tanzt im Zimmer unruhig lierurn, streift die Wange und
den üppigen Busen der Köirigin, läßt den linken Ärmel
des Herodes plötzlich emporleuchten. Es ist eine wirk-
liclr dramatische Behandlung des Lichtes, wie es von
der plastischen Darstellung unabhängig, seinen eigenen
Gesetzen folgend, im Bilde schafft und wirkt, nicht nur
die Figuren betont und steigert. Man vergleiche das
Blatt, Tod der Maria, Bartsch 93, wo doch der Bett-
himmel zu ähnlicher Dispositioir der Lichtwirkung ver-
locken konnte, aber nur als ornamentale Füllung be-
nutzt wurde. Nahe zur Hand liegt auch der Vergleich
mit der energisch plastischen Enthauptung Johannes des
Täufers von 1510, Bartsclr 125.

Eine gewisse Verwandtsehaft kann man wolil
zwisciren dem Herodesblatt, Bartsch 126 und dem Hie-
ronymus-Holzschnitt von 1511, Bartsch 114, feststellen;
das Regal entspricht dem Baldachin über dem Tische,
die Kiste mit dem Buch und Kissen denr Kredenztisch-
lein, die Verlegung des Schwerpunktes in die rechte
Ecke ist ähnlich. Als neue Elemente, die linke Figuren-
gruppe ersetzend, sind der Löwe und der Vorhang hin-
zugekommen. Wie leuchtend und farbig wirkt nicht
dieser Hieronymus, wie ist nicht der Löwe ganz zur
flächenhaften Wirkung reduziert. Auch die Draperie
ist ganz einfach als Fläche gegeben, hell und ruhig im
Gegensatze zu dem schattigen Ramne mit den vielen
funkelnden Lichtern.

(Fortsetzung folgt).

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