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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Märzheft
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Voss, Hermann: Irrwege deutscher Museumspolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0304

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Museen vorbehalten ist. Halten wir aber zunächst, um
nicht den Sperling in der Hand gegen die Taube auf dem
Dache preiszugeben, daran fest, daß eine solche Wir-
kung nicht von heute auf morgen, in Form einer behörd-
lichen Anordnung, hervorzubringen ist, sondern daß sie
das Resultat einer langsamen, organischen Entwicklung
sein muß, zu der alle künstlerisch regsamen Kreise unse-
res Volkes — und das ist vorerst eine Minorität — ge-
braucht werden. Eine Entwicklung, die von den öffent-
lichen Künstsammlungen allein überhaupt nicht geleistet,
wohl aber mit angeregt und unterstützt werden kann,
während andererseits die wesentlichen Voraussetzungen
lebendigen künstlerischen Fühlens und Gestaltens stets
in der Gegenwart zu suchen sind, d. h. in der wirt-
schaftlichen, sozialen und geistigen Struktur unseres
heutigen Volkstums und Staatslebens.

Es ist sogar der Fall denkbar, daß das zeitgenössi-
sche Schaffen durch einen maßlosen Vergangenheitskult
nicht Förderung, sondern Beeinträchtigung erfährt, und
diese Befürchtung hat im heutigen Italien bekanntlich
einen nicht unerheblichen Teil der literarischen und
künstlerischen Jugend unter Marinettis Führung zu einer
leidenschaftlichen Kampagne gegen das Museumswesen
überhaupt vereinigt.

In IJeutschland, wo ähnlich extreme Strömungen
kaum ernstlich aufgetreten sind und wo die Dinge über-
haupt wesentlich anders liegen, bedürfen die Argumente
der italienischen Museumsstürmer keiner ausführlichen
Widerlegung. Die Frage aber, in welches Verhältnis
der museale Kult des Historischen zu den Rechten der
produktiven Gegenwart treten soll, erheischt auch bei
uns eine klare Beantwortung. Es darf nicht in Verges-
senheit geraten, daß die Eigenart und Wirkung der
Sammlungen älterer Kunstwerke grundsätzlich unter-
schieden werden muß von jenen Bestrebungen, deren
unmittelbares Objekt die praktische Förderung der
lebendigen Kunst und ihre Hineinbeziehnung in unser
heutiges sozial-wirtschaftliches Leben ist. Nicht als
hätten sich unsere Museen zu verschließen vor der geisti-
gen Bewegung der eigenen Zeit, an welcher sie ja not-
wendigerweise einen nicht unwesentlichen Anteil neh-
men: vielmehr kommt es darauf an, die Grundbedingun-
gen und die Eigenart ihres Wirkens in aller Bestimmtheit
zu erkennen, wenn das Resultat für die Allgemeinheit
ersprießlich sein soll.

Es kann heutzutage nicht entschieden genug fest-
gestellt werden, daß die gesicherte und dauerhafte Basis
jeder fruchtbaren Museumstätigkeit die gleiche sein muß,
die das Fundament aller historischen Erkenntnistätigkeit
überhaupt bildet, d. h. die u n b e d i n g t e 0 b j e k t i -
vität und Vorurteilslosigkeit gegeu-
ü b e r d e n E r s c h e i n u n g e n d e r m a n n i g -
faltig und komplex gearteten Vergan-
g e n h e i t. Das bedeutet also, daß unsere Museen in
erster Linie dem Sichvertiefen und Sicheinfühlen in die
charakteristischen Ausdrucksformen verschiedener Zei-
ten und Nationen zu dienen haben, soweit diese unzwei-
felhafte ästhetische Werte enthalten.

Allerdings ist gegenüber der Kunst der Vergangen-
heit vom Standpunkt des heutigen Betrachtens aus noch
ein anderes Verhältnis möglich, nämlich die bewußt
auswählende Einstellung des produktiven Menschen,
vorzugsweise des schaffenden Künstlers, der das Ver-
gangene mit dem Maße des von ihm selber Gewollten
wertet. Auch hier handelt es sich um einen kulturell
wichtigen Faktor, der von unserem Museumswesen nicht
vernachläßigt werden darf. Etwas anderes aber ist es,
ob er zum grundlegenden Gesetz der Organisation und
Sammeltätigkeit gemacht werden soll. Das geflissent-
liche Unterstreichen einer auf die sich stets (und sehr
schnell!) verändernden Tages-Bedürfnisse zugeschnitte-
nen Wirkung ist mit einem zielbewußten, kontinuier-
lichen Ausbau und einer zweckmäßigen, sachlichen Auf-
stellung nun einmal unmöglich zu vereinbaren; räumt
man der subjektiven Tendenz bei der Gestaltung unseres
Museumswesens den entscheidenden Einfluß ein, so ist
es mit der historischen Objektivität und Universalität
unwiederbringlich vorbei.

Aber nicht einmal der individuellen Einstellung des
schöpferischen Menschen der Gegenwart geschieht durch
Proldamierung der subjektiven Einseitigkeit ein Gefal-
len. Gerade wenn man fordert, daß unsere Museen zur
Bildung eines lebendigen, persönlichen Verhältnisses zu
den geschichtlichen Werten anregen sollen, muß man das
tendenziöse Hervorheben bestimmter Richtungen oder
Persönlichkeiten durch eine „subjektive“ Museumslei-
tung mißbilligen. Denn nur wenn ihm die Kunstwerke
in sachlicher und neutraler, also objektiv-historischer
Anordnung geboten werden, ist der Beschauer zur un-
beeinflußten Bildung individueller, d. h. notwendiger-
weise von Person zu Person abgestufter Urteile im-
stande. Eine subjektiv-willkürliche Aufstellungsart ver-
sucht dagegen dem Einzelnen ein bestimmtes, seiner per-
sönlichen Auffassung vielleicht widerstrebendes Schema
aufzunötigen und erschwert dadurch das Zustandekom-
men einer selbständigen Auffassung.

Auch für das F ü h r u n g s w e s e n , das für die
lebendige Wirkung unserer Sammlungen eine stets
wachsende Bedeutung gewinnt, verhält es sich in glei-
cher Weise: die wahrhaft Berufenen sind jene, die ihren
Hörern über Kunstwerke und Künstler etwas Eigenes zu
sagen haben, und gerade in der Entwicklung dieser
Fähigkeiten werden sie durch direktoriale Willkürlich-
keiten in der Aufstellung der Kunstwerke nicht gefördert,
sondern gehemmt. Eine unparteiisch-historische Anord-
nung ist daher auch für das Führungswesen der einzig
mögliche neutrale Grund, von dem sich die Tätigkeit
verschieden gearteter Dozenten in klaren Umrissen ab-
heben kann.

Eine andere, die Auswahl und Anordnung der Kunst-
werke betreffende Frage ist jene, die sich auf die A n -
z a h 1 der dem Beschauer „zuzumutenden“ Kunstwerke
bezieht. Allen Befürwortern einer weitgehenden Be-
schränkung ist zunächst zu sagen: es gibt kein Krite-
rium, das eiue Unterscheidung absoluter „rein-künstle-
rischer“ und relativer, lediglich „kunsthistorischer“
Werte ermöglicht. Die jetzt vielverbreitete und leider

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