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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Januarheft
DOI Artikel:
Tietze, Hans: Der Ausverkauf der österreichischen Klöster
DOI Artikel:
Künstler und moderner Kunsthandel, [1]: eine Enquête
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0215

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Landes oder aber einfach ein Stück Allgemeingutes,
auf das die ganze Breite des Volkes Anspruch zu er-
heben hat — immer ist es für klerikale, konservative,
nationale, sozialdemokratische Gesinnung gleicher-
maßen Pflicht, der sich vollziehenden Zerstörung nicht
untätig zuzusehen.

In Wirklichkeit verhalten sich jedoch alle politi-
schen Parteien Oesterreichs — wie den meisten an-
deren kulturellen Fragen gegenüber — durchaus gleich-
giltig. Am auffallendsten ist, wie die christlich-soziale
Regierungspartei nicht nur diese Denkmäler nicht ver-
teidigt, sondern die Händler gewissermaßen in den
Tempel hereinführt, ihn auszupliindern. In einzelnen
Fällen haben christlich-soziale Minister und Funktionäre
die verkaufenden Klöster gegen die unbequemen Ein-
spriiche der staatlichen Denkmalbehörden geschützt,
die Zufriedenheit einflußreicher Wähler ist ihnen wich-
tiger als der Schutz kultureller Güter. Umgekehrt
wiirden die Sozialdemokraten wahrscheinlich kein
Bedenken tragen, eine Enteignung dieser Kunstwerke
zugunsten des Staates zu empfehlen; doch muß hier
— von eigentumsrechtlichen Prinzipienfragen ganz ab-
gesehen — jeden Einsichtigen die Erfahrung schrecken,
daß derartige staatliche Beschlagnahmen — im josefi-
nischen Oesterreich, in Spanien, in Frankreich — noch
jedesmal eine verheerende Wirkung auf diesen Kultur-

besitz ausgeübt haben; man würde wahrscheinlich eine
ganz andere als die beabsichtigte Wirkung erzielen.
Ueberdies wiirde eine solche gewaltsame Herauslösung
dieser Kunstwerke aus ihrem natiirlichen Boden ihnen
einen sehr wesentlichen Teil der Lebendigkeit rauben,
die heute ihren besonderen Reiz ausmacht. Sie
gehören, solange es irgend geht, in die Umgebung, die
sie hervorgebracht hat.

Eine Lösung könnte bei gutem Willen so gefunden
werden, daß dieser Kunstbesitz aus einem unprodukti-
ven in einen produktiven umgewandelt würde, so daß
die Besitzer selbst an seiner Erhaltung interessiert
würden. Das könnte entweder in der Art geschehen,
daß der Staat für die an Ort und Stelle verbleibenden
Werke eine Art Erhaltungsbeitrag leistete, also die
Klöster für ihr der Oeffentlichkeit geleistetes Kustoden-
amt entschädigte; oder daß er den Klöstern fiir Werke
dieser Art, die in staatlichen Sammlungen hinterlegt
wiirden, für die Dauer dieses Verhältnisses eine Art
Miete entrichtete. Dieser oder jener Weg ist gangbar,
aber nur dann, wenn sich die Gegenwart ihrer Verant-
wortlichkeit gegeniiber der Zukunft bewußt wird;
wenn das heutige Oesterreich seine Pflicht begreift,
alle Kulturwerte, die es besitzt, als allgemeines deut-
sches Kulturgut zu schützen und zu erhalten.

Künftlev und modcmet’ Kunffbaudel

6tnc Cnquetc

„Der Kunstwanderer“ hat sich an eine Reihe von
Malern und Bildhauern der verschiedensten „Richtungen“
mit der B'itte gewendet, sich über ihre Beziehungen zum
Kunsthandel auszusprechen und über die Notwendigkeit
des Kunsthandels zum ideellen wie materiellen Vorwärts-
bringen des Künstlers. „Der Kunstwanderer“ veröffent-
licht nun im folgenden die ersten von den eingetroffenen
Antworten, die anregend genug sind, daß die an-
geschnittene Frage auch vom Kunsthandel
diskutiert werden könnte. „Der Kunstwanderer“,
der ja auch in allen Kreisen des Kunsthandels im In-
und Auslande gelesen wird, bittet die Kunsthändler, uns
ihre Stellungnahme zu den Antworten der Künst-
ler mitteilen zu wollen. Der „Kunstwanderer“ selbst
behält sich ein abschließendes Urteil vor.

Lesser Ury:

Der Kunsthändler und mit ihm der Kunsthandel ist
für den Künstler und für die Kunst eine absolute Not-
wendigkeit. Er ist, wenn inan so sagen darf, der Ver-
mittler, das Bindeglied zwischen dem Kiinstler und dem
kunstliebenden Publikum. Die Schritte, die der Kunst-
händler machen kann, um das Interesse fiir den Künst-
ler zu erregen, sind meines Erachtens fiir den Künstler
unmöglich. Der Geschicklichkeit und der kauf-
männischen Freiheit des Kunsthändlers verdankt die
Kunst manches kiinstlerische junge Talent, das viel-

leicht ohne ihn zu Grutide gegangen wäre. Aber wenn
ich zuriickdenke, muß iclt doch sagen, daß im Kunst-
handel als auch bei den Künstlern diese Anschauungen
sich etwas verschoben haben und als veraltet betrach-
tet werdett. Früher, vor etwa 30 Jahren, gab es eine
Reihe von Kunsthändlern, die für den Künstler —
soweit es ihre eigenen Mittel erlaubten — eintraten mit
Eifer und Hartnäckigkeit, ja sogar mit Liebe, bis der
Künstler sich mit seiner Kunst durchgerungen hatte.
Der Respekt und die Verehrung waren damals noch
vorhanden für das tragische Schaffen des mittellosen
Künstlers. Das ist jetzt ganz anders geworden. Der
Kunsthandel ist leider in unserer modernen Zeit in der
Hauptsache ein Gescliäft geworden, welcher das darin
investierte Kapital gut verzinsen muß. Und dann die
Auktionen!!!

Die Künstler haben sich diesem neuen Zustand an-
zupassen versucht. Sie bilden Vereine, veranstalten
musikalische Abende, Tee und Tanz, Bälle, auf denen
sie ihre Werke an den Wänden zeigen. Alles dies, um
mit den reicheren kunstliebenden Kreisen in Verbindung
zu kommen, was vorher der größeren Geschicklichkeit
des Kunsthändlers vorbehalten war.

Die moralische Haltung und Stellung, die der

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