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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI issue:
1./2. Juniheft
DOI article:
Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen aus der Bibliophilen-Perspektive
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0469

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Berlin / Bellevuestraße 6a

ALTE A\ E I 5 T E R
ANTIQU ITÄTEN

Römische / Syrische / Griechische / Islamische

Ausgrabungen

Bachstitz-Gallery Bachstitz Inc.

s'Gravenhage New York

ist verständlich, weshalb gerade immer die Imitationsliteriatur, die
zwischen einer älteren und neueren Originalliteratur, diese über-
wuchernd, sich eiwschietot, die am meisten beachtete ist, sie ist
nach fcstigewordenen Maßstätoen zu messen, das Werdende stellt
die eigenen Maßstäbe erst auf. Zwei Extreme der Kunstbetrach-
tunig und des Kunstgenusses scheinen einander schroff zu wider-
sprechen, die nur äsihetische und die nur historäsche Anschaiuunigs-
weise in der Bewertun.g der schönen Wahrheit und der wahren
Schönhoit. Der eine rneint: schön ist, was mir persönilich zusagt.
Der andere: sehön äst, was nac,h der allgemein anierkannten, ge-
schichtlich gewordenen Meinung schön gilt. Die ästhetische Kurast-
betrachtung schlägt die Brüoken zu der historischen, indiem sie
sich viiel mit „zedtloser“ Schönheit beschäftigt und deren Meister-
werke, namhafte und nicht n-amhafte, in ihre Qegenwart hinütoer-
retten will. Die histori-sche Kiunstbetrachtung schlägt die Briiicken
zur ästhetischen, indem sie sich die persönliche Mieänung vor-
behäilt: es ist zwar ein autorisiertes Rumstwerk, ein unfoestreit-
barer Wert, ich hatoe es studiert, trotzdem vermag ich für meinen
Teil keinen Gescinmack diaran zu finden. Die bciden Brückengänge
aus entgegengesetztier -Richtung treffen an einer Stelle zusammen.
Die äsllietiische Bnücke gewährleistiet eine größere Unvorein-
genoiinmeiiiheit, die historisohe eine größere Sicherheit. Der ge-
schichtliich geschulte Leser wäre kein giuter Leser, wenn er vom
nlten Güiethe herkäme, den neuen Goethe träfe un-d an ihim vor-
ütoerginge. Der nur auf das eigene Gefühl siich verlassendie Lcser
mag viellecht vonher dem neuen Goethe begegnen und i-hn be-
.grüßen, er wird ihim, auch unter der Voraussetzung, daß d-er Zeit-
■genosse den Zeitgenossen n-ur unvollständig beurteilen kann, hilf-
Ioser gegenüberstehen. Er sieli-t ihn allei.n in einer geiistiigen Land-
schaft, in -der alle kritischen Distanzen f-ehlen, er üfoerschätzt ihn
oder er unterschätzt ihn, er weiß nicht eänmal, oto nicht die be-
wunderten Volikommenheiten vollkommen-er schon vorhanden simd.
Ein diurcli seine häufigen Wiederholungen nicht richtiger werden-
der Irrtum ist, historische Or-ientierung wäre diese, aus ihr etwa
von einem neuen Ccrv-antes einen noch besseren „Don Quixote“

,zu erwarten. Histbrisc-he Orientier-ung ist nur so, daß sie nicht
nach .gleichartigen sondern nach gleichwertigen Leistungen sucht
und verlangt, in denen künistlerisch .irgend eine moderme Protole-
matik zur Menschheitssache gemacht wird. Da-s hat der ,gute alte
Cervantcs g,eschafft, er hat aus der spanäsohen „Querelle des
anciens et modernes“ des 17. Jahrhundierts — die Auseinander-
setizungen zwischen alter uhd iunger Kunst sind nicht ganz aller-
letizten Datums — ein sa-gen wir nuhig noch imimer unübertroffenies
Weltanschauunigsbird gemacht, -dessen historischer Kolorit keines-
wegs einen moidernen Leser stört, wiewobl die Hcrren das. Rind-
ledier n-icht für di-e Automotoilweste benutzen, sondern als Hosen-
stoff venwenden. Ob auch die Kunst ein Natur-ereigniis ist und die
Kultur lediglich cin Ausnahmeziustand der Natur, ist miit vielerlei
Voikabeln diskutäcrt w-orden. Der Grenzstreit zwisclien alter und
neuer Kunst, dcr uralte Gremzstreit zw.isclien I-ebeiiden und Toten,
wird nie aufhören. Eben hat ein el-eganter Ideenjonigleur idas
Thema in eiiner amüsanten Groteske variiert. (Friedrich
M-ichael. Attentat. C’hronäk einer fixen Id.ee.
Leipzig, Paul List, 1929.) In -dem lu-stigen Büch-lein steht vieles —
uinter anderem der Stoff fiir ein modernes Lustspiel und der Stoff
für einen „Kulturfilim“. Eäneti ausg-ewachsenen Don Q-uixote stellt
es dem Leser nicht vor. Aber auch diejemgen, die e-s literarisch
nicht weiterverar-beiten wollen, wer-den es sich mit Vergnügen an-
sehen. Soll man -eiin älteres oder neueres Literaturprodukt so
lassen wie es ist, oder sollen die Veredielunig.sverfahren z-u einer
literarischen Ratäonaltechnik werden; soll man das alte Welt-
sc'hrifttum durch Normungen, etwa nach einem Parteiiiproigramm,
so latige auffrisclien, bis es alis ein literartwstorischer Bestand, rest-
Ios beseitägt, d. h. modernisiert ist? Man könnte z. B. die indivi-
dualistische Terminologie in die koHektiv-istische umdeuten, um
Zeitenwenden zu marideren. Anscheinend beg-innt die kollelcti-
viistische Auffassung, nach der, wie im Mittelalter, der Erzeuger
liinter sein Erz'eugnis zurücktri.tt, sich zunächst für eime Gruppen-
diclitung zur Geltung zu brin-gen, an der, aus Gerechtigkeits- oder
Geschäftssinn, aucli die a.Iten Autoren recht reichlich beteiiligt

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