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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Oktoberheft
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Tietze, Hans: Europäische Plastik: im Züricher Kunsthaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0056

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Europäische Plastik

Im Züricher Kunsthaus

Von

Hans Tietze-Wien

Die große Plastikausstellung, die das in der Pflege
internationaler Beziehungen unermiidliclie Züricher
Kunsthaus im Lauf tlieses Sommers veranstaltet hat,
geht in drei Richtungen iiber die Veranstaltungen hin-
aus, mit denen die großen Fremdenstädte die An-
ziehungskraft ihrer Saison zu verstärken pf'legen.
Die Ausstellung will eine Übersicht über die Be-
mühungen der lebenden Bildhauer in den verschie-
denen europäischen Ländern geben und sicli dabei
nicht auf tlie feichtbewegliche iibliche Ausstellungs-
ware beschränken, sondern auch Beispiele monumen-
talen Schaffens zeigen; sie will tlen Versuch mac lien,
tlic übliche Schablone solcher Ausstellungen zn zer-
brechen und die Kunstwerke nicht nur in speziellen
Schauräumen, sondern im Zusammenhang mit tlei*
ganzen lebendigen Stadt zur Geltung bringen; und sie
will entllich an tlem Beispiel einer großen nntl blühen-
tlen Stadt wie Ziiricli priifen, ein wie großer Anteil
tles künstlerischen Interesses unserer Zeit sich der
Plastik, der schwerest zugänglichen unter den bifden-
den Künsten, zuwendet. Die letzte dieser Fragen isi,
so selir sie vielleicht verallgemeinernde Schlußfblge-
rungen erlaubt, eine lokale. In tlem Katalog tler Aus-
steflung, der tlen LFmfang und tlie Gediegenheit einer
Kunstpublikation vtm tlauerndem Werte angenommcn
hat, versucht sie tler rülirige Direktor des Kunsthauses,
Wilhelm Wartmann, durch eine Zusammenstellung
tlessen zu beantwttrten, was nicht nur öffentliche untl
private Sammlungen in Zürich an Werken moderner
Plastik besitzen, sontlern aucli, was davon durch
öffentliche und private Aufträge an Gebäuden und
auf Plätzen, in Frietlhöfen und Gärten entstanden ist.
So ansehnlieh aber aucli die Quantität sein mag, die
sicli aus dieser Berechnung ergibt, so bleibt docli nicht
minder wahr, daß das Interesse an der Malerei in den
letzten Jahrzehnten ein unverhältnismäßig größeres
gewesen ist und daß insbesondere tlie öffentliehe Auf-
stellung plastischer Werke der modernen Stadtarchi-
tektur mehr Verlegenheit als Vergnügen bereitet. Die
im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts mehr untl
mehr zu Übergewicht gelangte individualistische Ten-
denz, der die Absonderung der Kunstwerke in Mu-
seumssälen oder Wohnräumen Rechnung trägt, steht
zu der Aufgabe eines öffentlichen Denkmals, ja jeder
einer bestimmten architektonischen Situation einzu-
fügenden Großplastik in Widerspruch. Zu intimer
Zwiesprache geschaffene Werke sollen plötzlich zu
allen sprechen; dcn Ausstellungen, in denen sie das
Licht der Welt erblickten, entlaufen, pflegen sie auf
Plätzen und in Gärten einigermaßen deplaciert zu
wirken.

Dieses Problem der Aufstellung ist es, das den
zweiten Punkt des Züricher Programms bildet. Jener
Teil der ausgestellten Werke, tler tlazu geeignet er-
schien, erhielt seiuen Platz nic-ht in tlen Räumen des
Kunstliauses, sondern entweder in dem zugehörigen
Garten titler auf einem der öffentlichen Gartenplätze,
die zu tliesem Zweck herangezogen wurden. Haupt-
sächlich waren es die schönen Anlagen an den Ufern
tles Sees, tlie eine Reihe von reizvollen Plätzen boten;
Glacis und Landungsstege, Boskette und Rasenplätze
liaben fiir tliesen Sommer eine Auslese cler eurt)-
päischen Plastik belierbergt und jedem einzelnen Werk
erlaubt, ungestört durch andersartige Nachbarn, die
in tlen Ausstellungen immer so lästig dicht heran-
tlrängen, zur Geltung zu kommen. Diese Isolierung tler
Skulpturen ist gelungen; aber es ist die Frage, ob diese
in allen Fällen dadurch einen ihrem Wesen ent-
sprechenden Rahmen erhielten. Die architektonisclie
Umrahmung, deren ein ßildwerk bedarf, ist ja nichts
Abstraktes, sondern etwas Konkretes; eine Statue
fordert die Bindung mit ihrer homogenen Architektur
und Vegetation, den Zusammenhang mit einer ihr ent-
sprechend geformten Baugruppe otler Landschaft.
Eine Umgebung, die tliesen Betlingungen nicht ent-
spricht, wird immer zu allgemein sein, um tlie Wir-
kung der Plastik zu erhöhen; diese wird auf diese
Art wohl in besserer Beleuchtung — und in besserer
Luft — gezeigt. als in einem Ausstellungssaal, aber
doeli keineswegs in den natürlichen Lebensbedingun-
gen einer monumentalen Plastik. Des Schweden Carl
Milles gespenstischer Folke Filbyter, der für den
Folkunga-Brunnen in Linköping 1927 ausgeführt wor-
tlen ist, steht in ähnlicher Einfassung Avie libero
Andreottis Siegesgöttin oder des Baslers August Suter
Denkmal für den Schweizer Dichter Carl Spitteler:
tlas eine Werk hat die mysteriöse nordische Atmo-
sphäre — nicht nur ira klimatischen Sinn — zur Vor-
aussetzung, das andere verlangt den klaren blauen
I limmel des Südens als IIintergrund; das eine wurzelt
in einer starken Gegenwartsbeziehung, das andere
knüpft an eine barocke Konvention an. Diese und ähn-
liche Gegensätze, die immerhin zum innersten Wesen
der Kunstwerke gehören, verschleift die Aufstellung;
tliese betont infolge des Charakters der zur Verfiigung
stehenden Promenaden einseitig tlas Malerische, wäli-
rend sich docli ein großer I eil der Iieutigen Plastik
um strengere Stilisierung bemüht. Je herber die Form-
gebung ist, destt) wenigcr günstig hat sich tlie Auf-
stellung im malerischen Griin erwiesen; diese Werke
wirken wie Fratzen an diesem sommerlichen Ufer,
an dem Hunderte vt)n Badenden verhängnisvolle
Gegenbeispiele bieten. Werke solchen Stils können
 
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