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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Februarheft
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Dresdner, Albert: Die deutsche Kunstausstellung in Oslo
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0166

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Die deutsche Kunstausstellung in Oslo

Yon

Albert Dresdner

Die deutsche Kunstausstellung in Oslo hat sich zu
einem großen und unbestrittenen Erfolge gestaltet.
Den Hintergrund dieses Erfolges bildet die Tatsache.
daß moderne deutsche Kunst in Norwegen, man darf
ohne Übertreibung sagen, unbekannt war; selbst in
Kreisen, deren lebendiges Kunstinteresse nicht zu be-
zweifeln ist, konnte man gelegentlich feststellen, daß
Böcklin und Klinger so ungefähr die jiingsten Persön-
lichkeiten aus deutscher Kunst waren, mit denen man
sich noch beschäftigt und von denen man Eindruck
empfangen hatte. Alles Tnteresse war von der fran-
zösischen Kunst beschlagnahmt; die Künstler gingen
nach Paris; eine Reihe von Ausstellungen machte die
moderne französische Kunst in Norwegen selbst be-
kannt; die Sammler erwarben französische Werke;
der französische Saal der Nationalgalerie bot ein all-
gemein zugängliches und recht umfassendes An-
schauungsmaterial. Nach und nach bildete sich die
Vorstelhmg, als ob es eine der Beachtung würdige
moderne Kunst überhaupt nur in Frankreich gebe:
„Wir haben iiber die nichtfranzösische mitteleuro-
päische Kunst in stummem Dunkel gelebt“, gesteht
Joh. W. Langaard, der Kritiker von „Morgenbladet“,
und Edvard Munch bemerkte anläßlich der Ausstel-
lung, man liabe in Norwegen iiber der an sich ganz
berechtigten Begeisterung fiir die französische Kunst
seit längerer Zeit fast vergessen, daß so etwas wie
deutsche Kunst existiere. So wirkte es mit der vollen
Schlagkraft der Überraschung, als man sich nun vor
einem geschlossenen Bilde der nachimpressionistischen
deutschen Kunst befand, das, wie man sich übrigens
auch zu ihm stellen mochte, jedenfalls stärksten An-
teil erweckte, ja sogar zu einer Überpriifung der all-
gemein angenommenen Vorstellungen und Überzeu-
gungen nötigte. Denn die Aüsstellung ist gerade im
rechten Zeitpunkte veranstaltet worden. Schon seit
einiger Zeit war zu bemerken, daß sich in der Kritik
der nordischen Völker leise Bedenken gegen die mo-
derne französische Kunst zu regen begannen. Sie grün-
deten sich auf das Gefiihl, daß diese der eigentlichen
Substanz ermangele und Gefahr laufe, artistisch zu
erstarren. Jetzt ist in Norwegen offen ausgesprochen
worden, daß die Begrenzung des Horizontes die kiinst-
lerische Sicht bedroht habe, und Thor Kielland, der
Direktor des Kunstindustriemuseums in Oslo, hat
geradezu erklärt, es sei an der Zeit gewesen, daß man
eine Ausstellung zu sehen bekommen Iiabe, die etwas
anderes sei, als das, was man immer in Paris sehe.

Daß nun die deutsche Gegenwartskunst in der Tat
etwas ganz anderes sei als die Erankreichs, das ist all-
gemein mit großem Nachdruck hervorgehoben wor-
den. Das Unterscheidende erblickt man vor allem in
ihrer reicheren seelischen und stärkeren gefühlsmäßi-

gen Betonung, iiberhaupt in ihrer größeren Vitalität
— auf den greisen Erik Werenskiold wirkte die Aus-
stellung „fast wie eine Explosion“. Das Verhältnis
zur französischen Kunst wurde natürlich vielfach be-
sprochen; der französische Einfluß wurde nicht über-
sehen, allein übereinstimmend ging die Auffassung
dahin, daß die Deutschen die französische Anregung
und Schule selbständig und charaktervoll verarbeitet
und eine Kunst von eigener Prägung hervorgebracht
hätten. Pola Gauguin warnte vor der Oberflächlich-
keit von „französisch-deutscher Kunst“ zu reden, und
Langaard ging so weit, die Entwicklung der moder-
nen deutschen Kunst als eine bewußte Reaktion gegen
den dominierenden formellen französischen Einfluß.
zu kennzeichnen. Es wurde bemerkt, daß die nach-
impressionistische Malerei Deutschlands eine fesi
definierte nationale Haltung und Form nicht ausgebil-
det hat; sie wurde dennoeh als germanisch und sie
wurde als deutsch empfunden, insofern das Verständ-
nis für ihre Tendenzen und für ihren künstlerischen
und seelischen Gehalt sich nur gewinnen ließ, wenn
man sie auf die Antriebe und Instinkte deutscher Men-
schen zurückführte. Es ist doch nicht bedeutungslos,
daß man sich in Norwegen zum ersten Male wieder
seit vielen Jahrzehnten über Art und Wesen deutscher
Kunst klar zu werden versuchte, ohne daß dabei jene
leise, zuweilen selbst die Überheblichkeit streifende
Ironie splirbar wurde, mit der man iiber Deutschlands
Kunst im 19. Jahrhundert zu urteilen pflegte.

Es muß der Osloer Kritik, soweit sie mir bekannt
geworden ist, nachgerühmt werden, daß sie sich der
von der Ausstellung gegebenen Aufgabe mit Ernst
und Verantwortungsgefühl angenommen hat. Es ist
ihr wohl nicht ganz leicht geworden, den deutschen
Werken nahezukommen. In der norwegischen Malerei
der Gegenwart gehören starke seelische Spannungen
zu den Ausnahmen (Henrik Sörensen ist eine solche);
der Reiz der Bilder pflegt vornehmlich in der lockeren,
geschmeidig bewegten, leicht und giücklich harmoni-
sierten Farbe zu liegen. Von hier aus war der Weg
etwa zu den Werken Kokoschkas nicht allzu weit.
aber die weite Skala, die die Ausstellung umschloß,
von gewaltsam iibersteigerter Erregung bis zu bieder-
meierlichen Stimmungen, von phantastischen Vi-
sionen bis zu mikrologischer Sachlichkeit, war doch
nicht ohne Miihe zu fassen, und eine Erscheinung wie
Nolde wirkte befremdend, aufreizend, aber dennoch
fesselnd. Wenn trotzdem die Antwort der Kritik auf
die Ausstellung durchaus bejahend ausgefallen ist, so
hat an diesem Ergebnis die Kunst Edvard Munchs als
Bindeglied zwischen der deutschen und der norwegi-
schen Malerei beträchtlichen Anteil. Sein Einfluß auf
rlie deutsche Kunst wurde von allen Seiten und inuner
 
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