Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

DOI Heft:
Heft 15
DOI Artikel:
Vom Tage
DOI Artikel:
Sprechsaal
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0216

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
_


T

in Dresden.— wilhelm Mejc> (Schauspieler und Regisseur), ! licher Maler, Oater von Ludwig Seitz', gest. 75 Iahre alt zu
gest. zu Berlin. — Maximilian Seitz (chistorien- und kirch- ! Rom.

Lprecbsaal.

(Antcr sacblicber vcrantwcrtung der Derren Linscnder.)

Nochmals in Sachen Lseines.

Die Auseinandersetzung zwischen unsern Alitarbeitern
Bölsche und Sandvoß, die im „F-prechsaal" des „Aunst-
warts" ftattfand, gab nnd gibt noch immer zu einer
Lülle von Zuschriften an uns Anlaß. wir halten
uns unter folchen vechältnissen für verpflichtet,
der Lrage noch einmal näher zu treten. Mit diesem
Ljefte unterbreiten wir deshalb neben der „Selbstan-
zeige" Bölsches über sein neuestes Buch zwei besonders
kennzeichnende Linsendungen uitsern Lesern. Im nächsten
oder übernächsten Lseste werden wir den Lindruck
wiederzugeben suchen, den wir selbst von der gegen-
wärtigen Lseine-Beweaung empfangen haben.

R.-L.

Angeregt durch die jüngsteit lebhaften Lrörterungen
über das bseinedenkmal griff ich seit Langem wieder
einmal nach einem Bande des verstäubten Werkes
und begann darin zu blättern; es waren zufällig
die „Neuen Gedichte". Bei einer Tasse Lhocolade,
eine gute kfavannah rauchend, ohnedies in der ge-
lassensten Stimmung, hatte ich eine amüsante Stunde
zu verträumen gehofft und klappte am Lnde das
Buch mit einem Aüßbehagen zu, das mir umsomehr
ein Nätsel war, als ich, ein begeisterter verehrer
bseines, noch vor Rurzem ein wort des Tadels gegen
meinen Liebling ohne Ärger und Widerwillen gar
nicht ertragen konnte. In dem unerquicklichen Drange,
mir über solch eine Mißstimmung klar zu werden,
beeilte ich mich, die vier Bände seiner gesammelten
Schriften durchzuseheu und hatte nach ebensovielen
Wochen eine bedeutende Trfahrung gewonnen: ich
fühlte, daß Lseine in den letzten zwei Iahren, da ich
ihn kaum gelesen, für mich verloren gegangen. Aus
einem unbedingten Vergötterer war ich ein kühler Beob-
achter geworden, und mit der Zeit entwickelte und steigerte
sich in mir sogar eine Abneigung, ja verachtung
gegen gewisse ^ymptome dieses Dichteringeniums, ein
Umschwung, dessen Dorläufer vielleicht in den folgen-
den Sätzen und Beobachtungen zu suchen sind.

kfeine ist vornehmlich der Liebling jener einiger-
maßen selbst poetisch veranlagten Zünglinge, denen
die Schillersche Nhetorik zu wenig Nahrung für Geist
und Lserz gegeben, die aber, zu unreif, sich an dem
lauteren, gesunden Tuell Goethescher Lyrik zu laben,
nach pikanterem Trunke verlangen. 2lngekränkelt
von dem blasierten, nervösen Treiben der Zeit, in der
Blüteperiode einer modernen ersten, halb lüsternen,
halb thränengierigen Liebe, ergriffen von dem
träumerischen Nmßiggange dieser Tage, charakterschwach,
sich keines ernsten Lebenszweckes ernsthaft bewußt,
hin und wieder erfaßt von selbstquälerischen hypo-
chondrischen Grillen, leben sie ein frauenhaftes, kon-
fuses, krankes Dasein, dessen glänzendster Dichter eben
Lseinrich Lseine in seinem „Buche der Lieder" ist.
Daher dieses kfauptkontingent der Lseineschen j)riester
selten mehr von ihm leiden mag, als das „Buch der
Lieder"; die Bilder der „Nordsee" dagegen, diese ge-
sundeste ^chöpfung des Dichters, wird ihnen weit weniger

behagen, der „Atta Troll" sie langweilen, die „winter-
reise" ihnen unverständlich und der „Nomanzero"
unverständlich und widerwärtig zugleich sein. wo
eben kfeine die furchtbarsten, nackten Nonsequenzen
seiner unsertigen, leichtsinnigen weltanschauung, seiner
keineswegs grandiosen oder tiefsinnigen, aber grotes-
ken, bilderreichen, affen- und chamäleonartigen s)han-
tasie gegeben, da schrecken sie wie vov einem Abgrunde
zurück — ein Beweis ihres gesunden bserzens, das
nur ein betäubtes Gehirn schwächer schlagen gemacht.
Lin Gegenstück zu kfeine bildet diesbezüglich Lenau,
dessen melancholische phrasen zu gewissen Iugendzeiten
einen unwiderstehlichen Zauber üben, der noch ge-
fährlicher werden kann, seines traurigen toten Lrnstes
halber, der nicht wie bei Lseine durch Roketterie zu
widerspruch aufreizt. Zn dem wlaße aber, als der
Rnabe sich zum Mann entwickelt und je unmutiger
er auf seine verträumten, verbummelten Iugendjahre
zurückblickt, schwindet für ihn die Bedeutung Heines —
unter dem j)ublikum, das kfeine durch und durch
kennt, alle seine Rniffe des witzes und der (Persiflage,
der Noketterie und der tragischen s)ose, unter diesen
Zehntausend wird Lseine kaum auf neunzig zählen
können, die zu seiner Fahne geschworen, er wird ihnen
so gut wie mir als ein Durchgangsstadium, als ein
Ferment zur Bildung eines modernen Genius ersten
Nanges gelten. weder Heine noch Lenau sind Dichter
für den Nlann, weil sie eben selbst nie das gewesen
sind, was wir einen echten Nlann nennen, und das
gehabt haben, was wir von einem solchen fordern:
ein treues, ernstes Gemüt, und einen arbeitsamen,
konsequenten, entwickelungsfähigen Geist, — was

wenig zu sagen scheint, für mich aber soviel bedeutet,
daß ich beides in hohem Grade nur bei Shake-
speare, Goethe, Tervantes, Dickens und etwa noch
zweien oder dreien auzutreffen glaube. Nlan hat
Heine den Dichter der Lüge gescholten. Das geschah
in unseren Tagen des Nealismus. Zn jenen Zeiten
erhob sich ein Gezeter, daß er allzu grell, allzu nackt
male. Zch halte beides für unrichtig. Heines Ge-
fühle sind erlogen, zugegeben, aber ihre Behandlung
und Formulirung ist dermaßen ironisch und kokett,
daß nur ein sehr naiver Iüngling seine Liebesseufzer
für baare N'lünze nehmen wird. Ls liegt eben
keineswegs in der Mahrheit der Tmpfindung allein
die Aoesie, zuweilen einzig in der graziösen, melodischen
Behandlung, während das kföchste dort geleistet wird,
wo beides zu einem vollen Nlange harmonisch sich
vereinigt wie bei Goethe, bei Burns. Heine, herz-
und lieblos wie er war, hat meines Trachtens kein
einziges Lied aus voller keuscher ^eele geschaffen und
darum keines, das so in die tiefste Seele dringt wie
etwa das Goethesche „Lfand in Ljand und Lipp' auf
Lippe". Za ich glaube nicht zu irren, wenn ich an-
nehme, daß Heine eine wirkung auf ein reines Herz
stets verschmäht hatte; er wollte unter allen Um-
ftänden für geistvoll und originell gelten und hatte
sich so sehr in die zierliche j)ose eines eleganten

ls

— 210

L
 
Annotationen