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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 17
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Avenarius, Ferdinand: Die Heine-Bewegung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0239

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17. Btück.

Lrscbeint

am fünften u. zwanzigsten

Derausgeber:

Ferdinand Nvennrilrs.

Kestellpreis:

^ vierteljährlich 2 l/z lNark.

Zabrg. l.

Die Deiile

Leser darf mir's glauben: der Gedanke,
^M^M^nllr mit ^eines Merkeu nnd f)ersönlichkeit
^^DWj^'den „Rnnstwart" nochmals zu beschäftigen,
)M^^^.wäre inir noch oiel „schrecklicher", als ilfm
der, nochmals etwas nur über bseine hier lesen zu
sollen. Um die kseine-Bewegung in Deutschland
handelt sich's. Und daß wir von der noch einmal
sprechen, das muß er eben leiden. Das ganze Dasein
unserer Zeitschrift hätte keinen Sinn, suchte sie nicht
Grscheinungen, wie diese, so klar zu stellen, wie sie's
nur irgend kann: zunächst durch die Darbietuug all-
schaulicher Zeugnisse verschiedenartigen Denkens und
Lmpfindens swie sie unser „Sprechsaal" gebracht hat),
sodann durch eilie Zusammellfassung der einzelnen
Züge, die dem Beschauer sich zeigten, zum möglichst
gerundeteil Bilde. Lsandelte sich's nur um ein Deuk-
mal für einen Dichter, die Sache läg' freilich anders.
Aber es handelt sich uin mehr. N)ir habeil eine Be-
wegung vor uils, die gauz ungewöhnlich deutlich
einige der tiefern Strömungen unseres öffentlichen
Liebens oben auf den wassern erkenilen läßt.

Gs ist ein Biailgel an Sachlichkeit sowohl bei den
Fürsprechern, wie bei den widersachern der Denk-
malunternehmung zu Tage getreten, der uns Deutschen
ilicht zur Lhre gereicht. wir sprechen nicht von der
Lrregtheit, die jeder Rainpf erzeugt, und die sich z. B.
auch in dem Meinungsaustausche in unsrer Zeitschrift er-
kennen ließ. Wem das schon „leidenschaftlich" er-
schien, der vergleiche die s)olemik in den Tagesblättern.
Bicht die Spur eines Untersuchungsganges fanden
wir bei weitem in den meisten der letztern und selbst
bei manchen der anständigsten und besten, nicht den
Dersuch eines Abwägens von Für und N)ider. Den
Gegner von vsrnherein als den Narren oder den
Lumpeil hinzustellen und zu verhöhnen: das war die
beliebteste Aampfweise hüben und drüben. Und die

-Wewegung.

waffen in der Schlacht, die „Grüude"? Bei den
Gegnern: „Lseine war ein Trzschuft", „Tr hat Deutsch-
land auf das Lmpörendste geschmäht", „Lr hat die
Zugend vergiftet", „Zhr, die Zhr für die F-chaud-
säule in Düsseldorf eintretet, seid Zuden und Zuden-
genossen." Bei den Freunden: „bseine war ein edler
Dulder", „Lr hat Deutschland glühend geliebt", „Lr
hat die Zugend zur wahren vaterlandsliebe heran-
gezogen", „Luch, die Zhr gegen das Lhrenmal in
Düsseldorf auftretet, Luch leitet nur blindester Zuden-
haß." Beschimpfende Behauptungen gegen be-
schimpfende Behauptungen. Ls ist erklärlich, daß es
die kühleren Leute nicht gelüstete, sich zwischen die
Streiter zu stelleu — sie fürchteten eben, die Geschosse
von beiden Seiten an den Aopf zu bekommen.
Stimmen, wie diejenigen unserer Sprechsaalreduer, die
L^eiue weder engelweiß noch teufelschwarz sahen,
sondern „pfeffer- und salzfarben", sind während der
ganzen j)olemik unglaublich vereinzelt geblieben.
Sprechen wir beim Gespräch über diese bloß von
kseineanern uud Anti-bseineanern schlechtweg, so thun
wir deshalb den Thatsachen durchaus keinen Zwang an.

Tine sehr wenig erfreuliche und die innere Be-
sangenheit auch unserer „gebildeten" Rreise bezeichnende
Lrscheinung war das moralische Totengericht, das
über ^eine abgehalten ward. Die Anti - Lseineaner
tragen dafür die verantwortung nicht allein, denn,
gewiß, sie wurden durch den unglücklichen versuch
gereizt, auch den Menschen Heine als rein und edel
hinzustellen, aber sie führten den Rlatsch über die
persönlichkeit eines verstorbenen denn doch in einer
weise aus, die mehr als „unästhetisch", die nahezu
unsittlich war. Das „Nichtet nicht, auf daß Zhr
nicht gerichtet werdet" ist wahrlich gerade von den
streng kirchlich Gesonnenen dieser Frage gegenüber
höchst sonderbar ausgelegt worden.



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