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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 21
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Kirchbach, Wolfgang: Poesie und Rhetorik, [1]
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0307

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Ich Senke, der Unterschied zwischen Shakespeare
und ^e:ne, d. h. zwischen poetisch und rhetorisch
im üblen Sinne ist hier schlagend. warmn ist cheines
^perbel rhetorisch? Warum ist sie in dieser
Rhetorik gsschmacklos? chamlets k^yperbel bezeichneten
wir dagegen als voll poetisch! Lseines Bild ist rhe-
torisch im üblen Änne, weil in der That ein psycho-
logisches Mißverhältnis besteht zwischen dem Rrast-
maß der Gemütsbewegung und dem Auswand von
Vorstellungskraft. Blit anderen worten: die k^yperbel
ist gesucht; sie ist rhetorisch, weil sie einmal in des
Wortes wörtlichem chinne zu weit hergeholt ist.
Nämlich aus Norwegs wäldern reißt dieser Uiann,
der an der Nordsee sitzt, die Tanne weg. Ts ist
aber in keiner Weise einzusehen, was das sür eine
Gemütsbewegung ist, welche ihn zu dieser
Übertreibung nötigt. wenn ücmllet sagt: „Dann
stoß ihn nieder, daß gen kü'urnel ^r Lersen
bäumen mag!" so ist auch diese üvperbel ein not-
wendiger und zwar großartiger Ausdruck desselben
Nachedurstes, und die Lsvp^rbel selbst enthält, wie
jene andere des chamlet immerhin eine Art von
Möglichkeit, weil sie nur die vergrößerung eines an
sich möglichen Augenscheines ist. Tinem solchen
folgt allerdings der Naturlaut innner; er sprengt sie
„bis an den Mond!" denn ein gut chtück fliegen sie
ja auch in Mahrheit in der Nichtung.

Üeine dagegen, der eine durchaus rhetorische
Natur war, schlägt zum reinen fl)rivatvergnügen jenen
fl)urzelbaum nach den norwegischen Tannen hinüber;
es ist die planlose Lust am hyperbolischen Ausdruck als
solchen, welche ihn als Nhetoriker kennzeichnet; es ist
auch hier der Nlangel einer inneren Nötigung zu
jener Vorstellung, wie er sie im Linzelnen durchge-
führt hat.

Nkan lese das Gedicht „Trklärung" und frage
sich: was für eine Gemütsbewegung ist es in aller
Melt, welche Lseine zu jener sonderbaren 2lrt des
Schönschreibens mit einem so ungeheuerlichen Gänsekiel
veranlaßt?

Im Anfang ist es Sehnsucht: „Und meine Brust
schwoll auf wie das Weer." Diese Lsvperbel der Sehn-
sucht ist vollständig dichterisch; denn sie wird erzeugt durch
den Augenschein; sie entspricht ganz dem natürlichen!)or-
gange jedes Seelenlebens, daß man die eigene Leiden-
schaft in die Dinge der Umgebung überträgt und an
diesen darstellt. Ls ist in wahrheit keine üvperbel,
umsoweniger als das Wörtchen „wie" auf jenen ge-
schilderten Seelenzustand hinweist. Nachdein aber die
wellen das süße Bekenntnis verlöschten, komint eine
merkwürdige Stimmung über den Dichter. Ist es
Ärger? Ist es Drang nach Lrhabenheit und er-
habener Verherrlichung des Namens der Geliebten
durch sein Schreiben? Das Lrhabene drängt aller-
dings (ähnlich wie die Rache Lscrmlets) einem

hyperbolischen Ausdruck und so giebt es denn bei
großen Dichtern viele Lsvx^rbeln, welche im eigentlich-
sten Sinne poetisch erhaben sind.

Aber das Trhabene ist nicht kf^inrich cheines
Sache. Damit die üvperbel erhaben wirken sollte,
dürfte der Bergleich, der in ihr liegt, nicht so kinds-
köpfisch ausgeführt sein. Den Ätna so ohne weiteres
als ein vergrößertes Tintenfaß anzusehen, in das man
die Tanne als Niesenfeder taucht, eine ausgerissene
Tanne selbst als eine Niesenfeder zu deuten, das
Alles ist zu mechanisch vorgestellt, als daß es einen
edleren Sinn mit der Tmpfindung der Trhabenheit
berühren könnte. Auch geht es selbst in der tollsten
ÜVperbel nicht so schnell. Menn kö^rnlet die Feuer-
werker bis an den Nlond sprengt, so ist doch für das
wirklichkeitsgefühl seines Nachedurstes die Nitöglichkeit
des in die Liähsprengens an sich gegeben und die
Üvperbel bezeichnet daun nur den Grad der iLeiden-
schaftsstärke. wieso aber Keine dazu kommt als ein
kleines N'lenschenkind, wie er mit uns Allen ist, ohne
weiteres eine Tanne auszureißen, das ist nicht
einzusehen, mcht einmal im Nbärchen, denn da würde
er sich wenigstens vorher fein säuberlich in einen
Niesen verwandelt haben. Das Trhabene oollends
verträgt derartige Sprünge der Tinbildungskraft nicht,
denn hier ist innere Notwendigkeit oberstes Ge-
setz. Line Lsvperbel wird innner nur dann erhaben
wirken, wenn sie auf einer zwingenden Notwendigkeit
der Seelenbewegung ruht.

Das ist in der cheineschen üvperbel nicht der Lall,
welche durch die Ausgestaltung der chvperbel in einen
vergleich die Lrhabenheit der Sache zerstört.
Denn eine Schreibfeder und eine Tanne, einen Vulkan
und ein Tintenfaß zu vergleichen, heißt nicht die Feder
und das Faß ins Lrhabene hinaufdeuten, sondern
umgekehrt öie Trhabenheit der Tanne und des Bulkans
ins Nleine und Nleinliche herabzerren.

N)ir nennen also aus all diesen Gründen die
Lseinesche üvperbel rhetorisch iin üblen Sinne, weil
sie in wahrheit nicht nur unpoetisch ist, sondern ein-
fach falsch und schief verwendet. Ls ist ein psycho-
logischer Bruch in dem ganzen Gedicht und der falsche
Mrganismus der inneren Lmpfindung führt zur
falscheu Anwendung des hyperbolischen Ausdrucks.
Und schiefe und falsche Verwendung jener Tropen
und Gleichnisse der Dichtung ist denn zuineist das,
was wir Nhetorik im üblen Sinne nennen, wenn wir
als Nunstrichter ein Urteil fällen über ein werk eines
Dichters. wir haben in jener oben genannten Arbeit
kfeinrich cheine vorwiegend als einen Rhetoriker
bezeichnet, weil seine Gedichte wimmeln von schiefen
und falschen Anwendungen poetischer Nttttel und
Formen. —

(Lin Schlußaufsatz folgt im nächsten ksefte.)

Molkgang Kircbbacb.


Allgemeineres.

Selbstanzeige. Grundzüge moderner
DUINanitÄtSbildUNg. Ideale und Normen. von
Or. Neinhold Biese*. AIs Gegengewicht gegen
* Leipzig, !V. Friedrich.

IKnndscban.

einseitige Fachbildung schien mir ein Buch am j?latze,
das den vorhandenen Bildungsschatz wissenschaftlich-
philosophischer Trkenntnisse zu heben, die (Zdeale und
Normen modernen Denkens und wissens zu einem

— 3LN —
 
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