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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 5
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Söhle, Karl: "Historische Konzerte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0075
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Lrstes Dezemberbekt tSSS.

über

Dichluilg, W»lcr. Kustl uui> Alükniik



5. Dekt.


Derausgeber:

zferdinand Nvenarius.

Bezugspreis:
Vierteljährlich 2ps Mark.
Arrzeigen: ägesp. Nonp.-Zeile^Opf.

10. Zabrg.

.Distoriseke Ikonzerte."

iaß unsere bildende Kunst im Mittelalter und
im Zeitalter der Reformation gar herrliches
geschaffen hat, das weiß der Gebildete, und
immer wieder wendet er sich vom heißen Tage der
Gegenwart zu jener taufrischen Morgenwelt zurück.
Daß wir aber auch in der Musik Blütezeiten erlebt
haben nicht minder herrlich, wer, wenn er schon davon
weiß, hat dessen schon genossen? Wer, wenige
„Fachleute" ausgenommen, hat gar ein klares Bild
von den Zügen unserer alten Tonmeister, zu ivem
sprechen sie noch, sie, die doch das Herz so voll
von edelm Reichtum hatten, daß sie noch heute gar
ost den Nahenden erheitern, entzücken, trösten, beleben
können?

Ja, die eigentlichen „Musikmenschen", die wissen
schon, was bei den alten Herren zu holen ist! Aber
auch sie waren lange Zeit wahrlich schlimm daran,
schlimm auch noch, als schon die musikalischen Neu-
ausgaben so vieles wenigstens dem Auge zugänglich
gemacht hatten. Da hat so einer in Haslerschen
Motetten oder Heinrich Schützischen Passionsmusiken
mit verlangenden Hörblicken daheim herumgelauscht
wie muß er doch den glücklichen Malerfreund
beneiden, der besriedigt aus dem Museum kommt.
Bild und Dichtung, die bleiben wie allgegenwär-
tige gute Geister, sdas Tonwerk aber muß doch erst
aus den Noten herausbeschworen werden, solls ganz
und gar vernehmlich sprechen.

Daß erst in unserer Zeit die Teilnahme an
alter Tonkunst anwächst, hat seinen Hauptgrund
wohl darin: man kommt jetzt mehr und mehr dazu,
sich den Schweiß abzuwischen und auszuatmen. Die
Einscheunungsarbeit einer ungeheuren Massenernte an
Tonwerken durch zwei Jahrhunderte, von Bach über
Beethoven bis auf Wagner, wird allgemach gesichtet
und geklärt. Jn der Produktion haben wir, trotz der
Blüten da und dort, auf dem Lande der Tonkunst
im allgemeinen Brachruhe. Da hat man Zeit, um-
herzuwandern und ringsum zu schauen. Du schreitest,
die lichtumflossenen höchsten Gipsel aus dem gran-
diosen Höhenzuge unserer Musik der letzten beiden
Jahrhunderte: Bach, Beethoven, Wagner in ihrer
einsamen Majestät immer vor Augen. Dazwischen
senkt sich Thal an Thal mit Wiesengrün und
Waldespracht, und die Negion der Vorberge thut sich
aus. Hör die Waldhörner blasen um den Weber-
Berg und dort im Schubert-Thal die Vögel singen am
Plätscherbach, sieh den stillen Hang am Schumann-
Hügel im Abendrot erglühen, sieh wie dort im
Brahms-Grund eigenwillige Kraft einen romantischen
Schattenweg gebahnt hat durch wilden Fels. Das ist
uns alles so leidlich vertraut. Vertraut sind jedem
Gebildeten heute die Hauptwerke deutscher Musik, bis
aus Bach zurück, sie, die man ja aufzuführen nicht
müde wird. Denn die Musik ist die stärkste Kunst-
macht unserer Zeit und ihre Hauptmeister haben,



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