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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 19
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0305

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„Aber wie soll man die Knechte loben? Kommt
doch das Aergernis von oben!" Vor allem sind es
Otto Julius Bierbaum und Karl Busse, die die neueste
Gigerl-Lyrik auf dem Gewissen haben.

Adols B a r t e l s.

* Dramenliteratur.

Die Bliuden. Von Maurice Maeterlinck. Aus
dem Französischen von Leopold von Schlözer. (München,
Albert Langen.)

pdelleas und Melisande. Von Maurice
Maeterlinck. Autorisierte Uebersetzung von Georg
Stockhausen, eingeleitet durch einen Essay von M. Harden.
(Berlin, F. Schneider L Co. sH. Klinsmannj).

Maurice Maeterlinck ist in Deutschland kaum über
einen kleinen Kreis enthusiastischer Verehrer hinaus bekannt
geworden, und die sein seltsames Talent laut verkündeten,
hüllten sich in ein noch seltsameres Schweigen darüber,
was sie an ihm verehrten. „Wir dachten nicht, sein
Wesen zu beschreiben", so hat H. Bahr, Maeterlincks be-
geisterter Prophet, noch kürzlich erklärt, „nein, aus unserer
Begeisterung schrieen wir auf. So heftig loderte unser
Enthusiasmus, daß seine Gestalt davon in Rauch und
Dampf verschwand. Wir konnten nichts über ihn aus-
sagen; Hallelujah haben wir ihm zugerufen." Rechnet
man von diesem Ueberschwang derer, deren Beruf es ist,
alle Vierteljahre ein neues Genie zu entdecken, ein gut
Teil ab, so bleibt es doch zu verwundern, daß Maeterlinck
erst jetzt durch Uebersetzungen einein weiteren Kreise zu-
gänglich gemacht wird. Länger bekannt ist nur ein
Dramolet „Der Eindringling", das auch in Deutschland
ausgeführt worden ist. Es hat nur geringen Eindruck
gemacht. Das ganze Stück ist nnr eine Reihe lyrischer
Stimmungsszenen; nicht die Personen sesseln uns, nur
das, was sie empsinden und was wir über sie empsinden.
Meisterhaft allerdings war hier das Wachsen einer
dumpfen Stimmung, des Bangens vor etwas Uner-
wartetem, nicht geschildert, sondern lebendig gemacht, wie
etwas Gegenwärtiges, dem man sich nicht entziehen kann.
Man wurde gebannt, wollte man oder wollte man nicht.
Jbsen hat es in ähnlicher Weise verstanden, die Spannung
auf ein dunkles Schicksal hervorzurufen, eine Schwüle
vor dem Gewitter, die sich auf die Nerven und alle Sinne
legt. Während der Dramatiker srüher Wert daraus legte,
alle Fäden klar vor uns hinzulegen, uns verständnisvoll
seiner Weberarbeit zuschauen zu lassen, im Verstehen
gleichsam mitthätig, und durch die Erkenntnis des
Werdens in allen seinen Phasen in uns ein Gefühl der
Harmonie zu erwecken, stellen uns diese Dramatiker vor
ein Faktum, ein Gewordenes, und lassen uns nur mit-
empsinden, was die empfinden, die unter dem Banne
des Gewordenen stehen. Sind wir dort Mithandelnde
und darum Mitempfindende, so sind wir hier nur Mit-
leidende. Aus der Aktivität, die schöpferisch anregt,
herausgedrängt, sind wir hier passiv geworden, ünd je
semininer wir sind, je empfünglicher für Eindrücke, die
abzuwenden wir hilslos sind, desto williger solgen wir
dem, der uns entmannt. Wohl kein Dichter kommt
diesem semininen Zuge der Zeit mehr entgegen, rechnet
mehr auf ihn, als Maeterlinck. Es soll nicht verkannt
werden, daß es ihm gelingt, eine ganze Reihe von Nerven-
sensationen hervorzurusen, die selbst der ihm in manchem
Zuge innigst verwandten Romantik noch sremd waren.
Jn einer Zeit der Nüchternheit hat selbst das Wunderbare,
hat auch der Dichter, der das Jrrationale des Lebens,

das Unfaßbare betont, nicht nur Aussicht, Gläubige zu
finden, sondern sogar eine innere Rechtfertigung darin,
daß das kurzweg Begreisliche noch nicht der Weisheit
letzter Schluß ist. Die an sich erklärliche Reaktion ift
jedoch noch nicht ohne weiteres des Fortschrittes Anfang,
sondern des öfteren nur ein neuer Abweg. Aus einen
solchen scheint mir Maeterlinck zu führen. Er ist wie
einer der Blinden, die nach dem unerwarteten Tode
ihres greisen Führers hilslos umherirren und denen
keine Rettung winkt, es sei denn, durch einen sehend ge-
borenen Süugling. Was vermag der gesund empfindende
Mensch aus der Szenenreihe der Blinden mitzunehmen?
Das Gefühl eines tiefen Mitleides mit den ohne ihren
Führer verlassenen Unglücklichen, die Erkenntnis, daß
der Dichter sich in ihre eigentümlich bedingte Empsindungs-
welt tief versenkt und Töne von einer ursprünglichen
Echtheit für sie gefunden hat, wie sie eben nur ein Dichter
sinden kann. Dramatisch aber ist die Situation nicht, in
einer Episode wohl verwendbar, aber als Kern eines
Werkes doch zu gering. Den poetischen Zauber der Szene
verkennen wir nicht, aber wir bestreiten, daß die ihm
entsprechende Form das Drama, oder daß gar der für ihn
geeignete Vermittler die Bühne sei, selbst wenn sie noch
weit intimerer Wirkungen sähig wäre, als sie es ist.

„Stimmung und Duft: das ist das ganze Werk
Maeterlincks", sagt Harden in dem der Uebersetzung des
Dramas „Pelleas und Melisande" vorausgeschickten Ver-
such, das dichterische Wesen Maeterlincks zu analysieren.
Das ist durchaus zutreffend und gilt auch sür die größere
Dichtung, die uns noch zu beschüftigen hat. Jhr sowohl
wie den Blinden ist, wie ausdrücklich bemerkt werden
muß, kein Wort zur Kennzeichnung der Dichtungsart bei-
gefügt. Beide sollen ofsenbar als ein Neues, als etwas
für sich, das weitab vom Hergebrachten liegt, angesprochen
werden. Vielleicht denkt Maeterlinck gar nicht an die
Bühne, deren Organe viel zu roh sind, um den Ton,
den er anschlägt, zu treffen, und die populüre Kunst bietet,
die ihm das Jdeal nicht ist. Gleichwohl hat bisher noch
jede echte, große und freie Kunst zu den Massen gesprochen,
und der Aesthetizismus, der sich an sich selbst berauscht,
blieb noch immer ein Vergängliches. So zart und innig
nun auch das Märchen von Pelleas und Melisande ist,
so wird es doch dem tzallelujah der Maeterlinckschwärmer
kein vielstimmiges Echo verschaffen. Es ist wie eine

Nippsache, die keine Distanzen zwischen sich und dem Be-
schauer verträgt. Die Szenerie, die zunächst nur mit
kurzen Vermerken: „Vor der Burg", „Jm Walde", „Am
Springquell im Park", angedeutet wird, wird aus den
Worten der Personen lebendig. Die Phantasie wird stets
müchtig angeregt, weil ihr viel freier Spielraum gelassen
bleibt. Die Leidenschaft, die zwischen Pelleas und der
aus rätselhafter Fremde gekommenen Gattin seines älteren
Bruders sich anspinnt, wird lange vorausgeahnt. Sie
wächst und entfaltet sich scheu und unbewußt wie eine
Blume, rein und lauter wie ein Naturtrieb und der Ge-
fahren, die ihr drohen, kaum gedenk. Die Bilder, die
die einzelnen Szenen entrollen, sind voll Duft und Zart-
heit, das Bekennen der Liebe, die Pelleas und Melisande
vereint, ist mit einer Jnnigkeit und Reinheit nachempfun-
den, die entzückt. Dabei ist innerhalb des unbestimmten
Duftes der Hergänge alles von einer Unmittelbarkeit l
und Frische des Ausdruckes, als wären wir ungerufene
Zeugen eines Geschehens — wahrlich poetische Vorzüge
genug, um vor der Jndividualität des Dichters be-

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