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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 24
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Rundschau
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Sprechsaal
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0392

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das nützlich sein. Das Jdeal einer Literaturgeschichte
ist es natürlich nicht, was Klee übrigens selber weiß.
Voraussichtlich wird er außer den zoo Namen, die er schon
gestrichen hat, später noch ein paar Hundert streichen.

Klee hat im übrigen das Buch aus den gegenwärtigen
Stand der Wissenschast gebracht, so daß es als ein zuver-
lässiger Ratgeber erscheint.

j)au> Schumann.

Sprecbsaal.

In Sachen des Lservorrnfs der Schauspieler.

Zu Bittrich's „Beobachtungen im Theater" möchte ich
oom Standpunkte des Schauspielers ein paar Worte sagen:

Jch begreife seine ästhetische Entrüstung vollkommen;
ich teile sie, sobald ich schauend und genießend vor dem
Vorhang sitze. Als ich Schauspieler wurde, nahm ich
mir vor, die Leute ruhig klatschen zu lassen, wer wollte
mich zwingen, etwas Unerbetenes anzunehmen? Ob ich
meine Schuldigkeit gethan hatte oder nicht, das sagte mir
die meist unbegueme Dame, die schärfer und unbestechlicher
aufmerkte, als all die tausend Augen im Partere: die
Selbstkritik. Was bedeutete dagegen das Zischen übel-
wollender Feinde oder der Applaus guter Freunde! So
dachte ich mein ästhetisches Gewissen reingehalten. Aber
die Praxis kam und bedeutete mich, daß die Macht der
Gewohnheit sich um das Ja oder Nein des Einzelnen
wenig kümmert. Mit meiner ersten größeren Rolle war
die Menge zufrieden; man applaudierte. Jch blieb meinem
Vorsatz treu und zeigte mich nicht. Aber da kam ich schön
an, zunächst bei den Kollegen. Man wars mir Bescheiden-
heitsthuerei, raffinierte Chikane, ausgeklügelte Reklamesucht
auf Kosten der Andern vor. Jch sührte meine Gründe
ins Feld; umsonst. Man bildete ein sörmliches Kartell
gegen mich. Schließlich mischte sich der Direktor hinein:
Schauspieler, die dem Publikum die Laune verdürben und
den Kollegen beständig Aergernis güben, könnte er nicht
brauchen. Das war deutlich. Ich sargte meine Grund-
! sütze ein und verbeugte mich von da ab, wie die andern.

Jch sühre dies nur an, um zu zeigen, daß es auch
auf der Bühne Leute gibt, die das Unkünstlerische des
Hervorrufs deutlich genug empfinden, denn so wie mir
dürfte es manchem ergangen sein. Bittrich ist sa auch
gerecht genug, nicht die Spieler, sondern das Publikum
sür schuldig zu erklären. Aufgesallen aber ist mir, daß
er immer nur vom Hervorruf erdolchter, erschossener oder

vergifteter Figuren der Stücke spricht. Wird denn sein ästhe-
tischer Schauder nur von den Toten wachgerufen, die aus
der Rolle fallen und nicht auch von den zufüllig am Leben
Gebliebenen? Wird das Bild, das wir in der An-
schauung mit nach Hause nehmen, nicht ebenso sicher zer-
stört, wenn sich der zusammengebrochene Othello von
Desdemonens Todeslager erhebt, um seine elegante Ver-
beugung zu machen, als wenn Hamlet sein totes Gebein
sammelt, um zu dienern? Für mein Gefühl ist beides
gleich verwerslich, und darum bin ich der Meinung, nicht
nur h alb gegen eine llnsitte Front zu machen, sondern
ganz. Nicht nur das Hervorrufen der iin Stücke Ge-
storbenen ist ein Unfug, der jedes ästhetische Feingesühl
beleidigt, sondern der Hervorrus der Schauspieler
überhaupt, gleichviel ob der Dichter sie leben
oder sterben läßt, sollte aufhören.

Eine geschichtliche Daseinsberechtigung hnt der Hervor-
ruf nicht. Erst die Virtuosen in der Mitte unseres Jahr-
hunderts haben ihn zur Blüte gebracht. Jm Burgtheater
z. B. war er unter Laube noch nicht gebräuchlich, und
der überschwängliche Personenkult der Männer ist doch
zur Genügc bekannt. Wenn es dort möglich war, den
vollen künstlerischen Eindruck zu wahren, so sollte es bei uns
schwerer entzündlichen Reichsdeutschen erst recht möglich
sein. Dann werden aufgeblasene Schauspieler wohl auch
wieder Bescheidenheit lernen und klaren Köpfen wird es
gelingen, die gräßliche Poserei erfolgreich zu bekämpfen,
die sich heute aus den neuesten Ausnahmen unseres un-
übertrefflichenHeldenspielersKnatschke und unserer reizenden
Naiven, Früulein Liebreich, in der lächerlichsten Weise breit
macht.

Doch das ist wieder ein Kapitel sür sich.

Lugen Aalkschmidt.

Lose Klätter.

Allerlei znm Rückblick.

Die ^umntlung Mr LiliLncron hat also 200 Mark
ergeben, macht für jede der 700 Zeitungen, die den Aufruf
gebracht haben, etwa zo Pfennige. Hätte unsre Presse
sich den Satz gespart und für Liliencron den Lohn beige-
steuert, den sie sür das Setzen des Aufrufs ausgeben
mußte, es wäre mindestens das Sechsfache zusammen-
gekommen. — Wir haben über das Verhältnis unseres
Volkes zu seinen Dichtern schon viel gesprochen, denken
auch noch manches darüber zu sagen und verzichten daher
heute aus weitere „Worte im Wind". Aber einige der
Freunde Liliencrons nehmen den Mund auch gar zu voll.
Wenn man von Liliencron jetzt in den Zeitungen schlecht-
weg als von „dem größten lebenden Dichter" Deutschlands
spricht, so lacht er sicherlich selber darüber, so lange noch
Fontane, Hauptmann, Greif, Raabe, Groth und ein Dut-

zend Anderer leben, beim größeren Publikum aber schadet
man der Sache durch solch unüberlegte Ueberschwänglich-
keiten. Unter Tausenden zwischen den vordersten Zwanzig
zu stehen, ist ja doch auch genug.

Sudermann bnt Glüek: die schützbarste Helserin aller
irgendwie zweiselhaften Stücke, die Polizei-Zensur, hat
seinen „Johannes" verboten. Da konnte dann Herr Direktor
Brahm im Hast - du - nicht - gesehn die Größen der
Berliner Presse zu einer Vorlesung versammeln, auf daß
sie selbersagten: solch ein Stück, darf man's der Welt ent-
ziehn? Und nun rauschte durch den ganzen deutschen
Feuilletonwald eine Reklame, wie sie selbst der große
Dramatiker im Bart noch kaum erlebt hat. Wer konnte
ihr widersprechen, da doch das Verbot selbstverständlich ein
fürchterlicher Unsinn war? Es wird aufgehoben werden.

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