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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1898)
DOI Artikel:
Sommer, Hans: Die Wertschätzung der Musik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0023

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solchen Sieger gebührt, häite alles, was Wagner im Sinns hatte, sichern
können. Statt dessen haben es die Tcilnahmc- und Verständnislosigkeit seines
Volkes und seiner Kritiker — vielleicht auch cin gut Teil Neid und Bosheit —
dahin gebracht, daß eine rccht namhafte Schuldenlast das greifbare Resultat
des Unterfangcns mar: dem deutschcn Volke eine „neue Kunst^ zu schaffen.
Wiederum trat König Ludwig helfend ein. Als aber der Schuldenrest auch
durch Konzertc — in London veranstaltet — nicht zu tilgen war und zudem
nur Wenige für die mit dem Patronate übernommene ideale Verpflichtung
Verständnis zeigten, sah sich der Meistcr genötigt, die Nibelungen mit allem,
was zur Aufführung gehört, an einen Jmpresario zu verkausen, der nun das
Werk in wenig stilvollen Aufführungen von Bühne zu Bühne schleifte. Eirr
ähnliches Fiasko erlebte Wagner noch, trotz der eifrigen Bcmühungen der Pa-
tronatvereine, mit der beabsichtigten Stilbildungsschule, ja noch mit seinem
Schwanengesange „Parsifal", dor ebenfalls vom größten Teile dcr TageSkritik
so sehr vcrlästert ward, daß die Aufführungen, von der dritten oder vicrtcn
an, zu seinen Lebzeiten unheimlich leer blieben.

Worin nun hat cr's wohl verschen? Jn dem nümlichen, in welchem es
alle unsere großen Meister verschen haben: er war deutsch ! Das hoißt: er konnte
nicht um Lohn Modeware liefern, er folgte vielmehr unberirrt und um äußern
Erfolg unbekümmert dem mächtigen Drange, der ihn znm Schaffen gemäß
seinen Jdealen trieb: zum Schaffen dcs deutschen Dramas. Für das Deutsche
in der Kunst hat aber der Deutsche von jeher ein schwer zu erweckendes Ver-
ständnis gezeigt. Befangen in sinnfälliger welscher Musik, hat er fast hundert
Jahre gcbraucht, um der monumentalen Größe Sebastian Bachs inne zu werden.
An den größercn Bühnen führten bis zu Morlacchi und Spontini hin meist
Jtaliener das Szepter: auch ein Mozart, der so gern noch mehr und größere
dcutsche Opern geschrieben hätte, mußte sich solchen Verhültnissen fügen und
eine italienische Oper nach der andern komponieren. Spekulatioe Köpfe gingen
daher lieber von Anfang an der deutschen Musik aus dem Wege, wie z. B.
Hasse und Graun, die nur italienische Opern schrieben. Händel war italienischer
Opcrn-Unternehmcr in London — und als es damit nicht mehr recht verfangen
wollte, schrieb er cnglische Oratorien. Gluck hat zuerst italicnische, später
— seine Mcisterwerke — französische Opern komponiert, die dann von Paris
aus mit Erfolg bei uns importiert wurden. So haben unsere Musiker, kleine
und große, im Dienste einer ausländischen Kunst ihre Begabung verzetteln
müssen, und ein eigentlicher Stil für die deutsche Oper hat trotz so vieler
Meisterwerke, auf die wir mit gerechtem Stolze blicken, vor Nichard Wagner
nicht aufkommen können. Fast sollte man meinen, auch er habe diesen noch
nicht rccht getroffen, und ganz national könne dieser Stil nur unter auslän-
discher Fabrikmarke werden, da unlängst die aus der jüngsten italienischcn
Jnvasion als sieghaft bekannte Löwen-Kavallerie hierfür rcquiriert worden ist.
Neßler und Wagner sind tot. Da bleibt allerdings der mit blutrot glänzen-
den Mcyerbecren effektvoll aufgefärbte Bajazzi-Stil der künftigen deutschen
National-Oper einzige Zuflucht.

Meyerbeer, der vorsichtig genug war, seine Opern von Paris aus zu
importieren, und Mendelssohn habe ich hier übrigens als die einzigen nam-
haften Musiker zu nennen, die cine Ausnahme von der Regel bilden, dcnen
nämlich aus naheliegenden Gründen ein Martyrium erspart geblieben ist.
Hüchstens wäre Brahms noch als ein von glücklichen Umständen ausnahms-
weise Begünstigter anzuführen, wiewohl auch er in sciner Jugendzeit so bcdrängt

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