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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1899)
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Batka, Richard: Das riechende Lied
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0027

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Das riecbende LLed.

Jn einem Aufsatze, den kürzlich Wilhelm Mauke in der „Frankfurter
Zeitung" veröffentlicht hat, fteht das Folgende zu lesen:

„Es wird eine Zeit kommen und mit ihr der neue Messias, der »Wagnsr
des Liedes«, der mit kühnem Geist und dionysischem Hochflug die letzte Schranke
des traditionellen Begriffs (I) »Lied« zerbricht und den begrenzten Rahmen er-
weitert und ausbaut zum weiten Dome, darinnen alle Sinne zum Himmel
seligsten Empfindens emporgetragen werden. Und da in den Gesängen, die
die neuen Meister der musikalischen Lprik zu den Worten unserer Liliencron,
Dehmel, Mombert, Hart, Henkell, Bruns, Holz, Eoers, Maeterlinck, Weigand,
Mackay uod anderer »Neutöner« schaffen, die in gebundenen und fessellosen
Rhythmen, reimend und reimlos auf den Wegen der Seele wallen, entgegen
der leeren Gefühlsspielerei der sormalen idealistischen Periode immer (!) cine
warme rote Welle tiefinnersten Lebens pulsr, so müssen sie zu einer Offen-
barung auch für die Seele des Hörers werden. Diese Offenbarung aber wird
in dem »Liede der Zukunft«, im »lebenden Lied« mit voller künstlerischev
und ästhetischer Berechtigung dieselben Mittel für sich in Anspruch nehmen, die
Wagner im »Kunstwerk der Zukunft« für das höchste gemeinsame Kunstwerk
sordert. Auch im lebenden Lied wird wie im Musikdrama — mutatis mntanäis —
jede Kunstart ihrer höchsten (!) Fülle nach vorhanden sein. Beleuchtung, Farben,
Düfte, Gewänder, dekorativer und architektonischer Rahmen müssen mit der
Worttonkunst einen Reigen schließen, so daß die Seelen der Hörer wie untev
einer zwingenden Gewalt in die entrückende Sphäre des losgelösten (I) Empfin-
dens untertauchen.

Das Konzcrtpodium mit seinem nüchternen Milieu des blendend beleuch-
teten Gesellschaftssaales weicht einem poetischern Rahmen, der in architek-
tonischer und dekorativer Hinsicht ein geschlossenes Bühnenbild ermöglicht. Der
Zuhörerraum, dessen Sitze in amphitheatralischer Anordnung gedacht sind,
bietet nur soviel Licht, um die Texte der Gesänge lesen zu lassen. Weder der
Flügel, noch der »pianistende« Begleiter sind sichtbar. Die Töne des Sängers,
der die geschmacklose Frack-Tracht mit einem symbolischen weißen weiten Ge-
wand etwa eines apollinischen Priesters, oder dem leichtgeschürzten des bacchi-
schen Sängers — je nach dem Stimmungsgehalt des betreffenden Gesanges —
zu vertauschen hätte, treffen unser Herz durch einen meergrünen lianendurch-
wobenen Schleier. Bei einem sinnlich-schwülen Liebesgesang durchziehen Helio-
tropgerüche den Saal. Ernste Gesänge klingen unter Weihrauchdämpfen aus
Säulenreihen mit hciligen Zypressenhainen an unser Ohr. Große Bütendolden,
violette Nebel, ein leises Sternengeslimmer, sonst alles mystisch dunkel — so
würden uns die Hymnen der Sommernacht einwiegen. Die Leidenschaftsschreie
der erotischen Lyrik umlodern züngelnde Flammen. So würde das lebende
Lied zu den Menschen der Phantasie und dcs intimen Gefühls sprechen und
sie würden unter seinen Wirren und Schmerzen erschauern.

Nur der Einsichtslose und Grobsinnige kann diesen scheinbar phantastischen
Zukunsts-Andeutungen entgegenhalten, daß wir das alles ja schon in der
»Oper« haben. Aber das schwerfällig Dekorative der Oper hat nichts mit der
sublimen Stimmungskunst gemeinsam, welche das lebende Lied umblühen soll.
Keine sinnfällige »Ausstatterei«, sondern seelisch geschaute und aus dem künst-
lerischen Feingefühl entwachsene »Belebung«. Keine Befriedigung der Schau-
instinkte durch Theatereffekte, Dekorationswunder und Feuerzauber, sondern

1. Gktoberheft
 
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