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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
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Hart, Julius: Das "Fragmentische" Lesedrama, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0062

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sirr die deutsche Kultur nur eine unreife Arbeit, reif ließen ihn erft jene schau-
fpielerischen Dilettanten werden. Die Dichtung, welche Goethe nur geschrieben
hat, stellt nichts als ein Fragment dar, aber die aus diesem Fragment heraus-
gerissenen Fetzen und Bruchstücke, die man gewöhnlich auf der Bühne zu sehen
bekommt, diese sind, weil sie aufgeführt werden, plötzlich zu einem ganzen
Kunstwerk geworden. Ganze Kunstwerke sind die Erzeugnisse der Blumenthal,
Schönthan, Kadelburg, der Trestor und Mannstädt und wie alle diese Kulissen-
schreiberchen heißen, und tausend große Werke der Weltliteratur, die aber nie
auf unseren Brettern erscheinen, nichts als Schatten stellen sie für uns dar und
in einer gespenstischen Welt nur leben sie. Aesthetische Mondkälber sieht die
weise Kritik unserer Zeit in ihnen.

Wenn das Drama in den Besitz des Theaters übergegangen ist, wenn
die Vorbereitungen zu seiner Aufführung getrosfen werden, — dann hat der
Dichter sein Werk gethan. Seine Thätigkeit ist zu Ende, und mit verschränkten
Armen mag er zur Seite stehen und zuschauen, was nun weiter mit seiner
Schöpfung geschieht. Jene Aesthetik behauptet nun klipp und klar, daß in diesem
Augenblick das dramatische Werk noch immer etwas Unfertiges vorstelle, —
— sie behauptet also klipp und klar, daß der dramatische Dichter, allein und
auf sich gestellt, überhaupt nicht imstande sei, ein „ganzes Kunstwerk" zu er-
zeugen. Jedes Drama und die ganze dramatische Poesie überhaupt muß also
als eine Halbkunst angesehen werden.

Das behaupten nun dieselben Geister, welche sonst im allgemeinen ge-
neigt sind, die dramatische Dichtung für die Vollendung und die Krone aller
Dichtung zu erklären. Aber da hilft weiter kein Drehen und kein Wenden.
Wenn die Sache sich wirklich so verhält, dann steht das Drama auf der aller-
untersten Stufe des poetisch-schüpserischen Geistes. Mit dem kleinsten vierzeiligen
lprischen Gedicht bringt ein Dichter etwas weit Vollkommeneres zustande, als
mit einer langen sünsaktigen Tragödie. Ein ganzes Kunstwerk! Denn noch hat
niemand behauptet, daß ein Iprisches Gedicht, ein Epos, ein Roman nur em-
brponale Gestaltungen, daß noch besondere Geburtszangen notwendig sind, um
sie ans lebendige Licht der Welt zu bringen. Lyrik, Epos und Roman ver-
mögen — das hat noch niemand bezweifelt — allein durch sich eine sinnlich-
künstlerische Welt vor uns hinzustellen. Der Dramatiker aber kann das nach
der Behauptung jener Theaterästhetik nicht. Die sinnliche Wirklichkeit seiner
Gestalten und Bilder wird erst durch die Schauspielkunst und das Ganze der
Bühnendarstellung erzeugt. Sein Werk ist etwas Fragmentarisches. Er be-
sitzt wohl geistige Vorstellungen, er gibt Pläne und Andeutungen, wie alles ge-
macht werden muß — er ist in Wahrheit ein Rasfael ohne Arme, ein den
Künstler begeisternder und anregender Kritiker, — er ist ein splritas rector und
gleicht dem Spielleiter auf den theatralischen Proben, der die Schauspieler
lenkt und zusammenbringt. Er ist also wohl die „Seele des Ganzen", — aber
doch nur die Seele. Die Vollendung, die eigentliche Ausführung, Lie sinnlich-
lebendige Gestaltung des dramatischen Kunstwerkes bewirkt erst der ganze Chor
der Bühnenkünstler, Schauspieler, Maler, Maschinisten und Schneider.

Jn der Kunst aber kommt alles aus die Ausführung an. Daß er
selber darstellt, sinnlich schaubar gestaltet, was er im Kopfe und in der
Seele trägt, das allein macht den Künstler. Sonst ist es eben nur ein Dilet-
tant, ein Begeisterter, aber keine Schöpfernatur. Jn Wirklichkeit ein fragmen
tarisches, ein Zwitterwesen. Jene Theaterästhetik sieht ja nun in der That in
einer unaufgeführten dramatischen Dichtung nur ein Fragment. Das heißt
Ruuftwart
 
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