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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1899)
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Helene Böhlaus "Halbtier"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0101

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aus den unheilvollen Zeiteinflüssen überhaupt, die uns die Künstler ver-
derben. So sinde ich in der Modellszene und namentlich in einer Ge-
schichte, die „Wildspur", die die Amerikanerin im „symbolistischen" Torm
erzählt, geradezu etwas pervers Sinnliches, obgleich der Stoff an
und sür sich rein poetisch zu behandeln wäre: Eine junge Frau,
die sich von ihrem Manne vernachlässigt stndet, wirft sich nackt in
den Schnee und macht ihren Mann dann auf den Abdruck ausmerksam..
Jm Zusammenhang mit der Handlung des Romans steht diese Geschichte
nicht, haben wir's also mit Sacher-Masochismus zu thun? Die sehr ost
dagewesene Anatomieszene dann, die hier erschreckend roh und gänzlich
überflüssig auftritt, kann ich nicht anders als reine Effekthascherei nennen.
Selbstbelügung und weiblichen Größenwahn stnde ich in zahllosen Einzel-
heiten. Oder belügt sich Helene Böhlau nicht selbst, wenn sie schreibt:
„Begeisterte sie (Jsolde) sich an einem großen Geist der Vergangenheit,
mußte sie vergessen und darüber hinweg sehen, daß dieser Geist nicht über
die Erde gegangen war, ohne daß er dem Weib ein neues Schandmal
aufgedrückt hätte" ? Jst es nicht Lüge, wenn sie behauptet, daß die Mittel-
mäßigkeit der Leistungen (höherer Art) des Weibes eine Folge der Ver-
dummung durch die Männer sei? Wenn Frau Böhlau und alle Vor-
kämpferinnen der Frauen-Emanzipation sich nur die Mühe geben wollten,
einmal gründlich Geschichte zu studieren, so würden sie ganz merkwürdige
Dinge über die angebliche Unterdrückung der Frauen durch die Männer
erfahren. So hat nach der Renaissance in Jtalien von etwa (600 an
bis tief in unser Jahrhundert hinein den Thatsachen nach das Weib
„geherrscht", aber es hat nur das Jnstitut des Cicisbeats ausgebildet,
in Kunst und Wissenschaft aber nichts besonderes geleistet trotz sehr ge-
lehrter weiblicher Prosessoren und einiger ansprechender Malerinnen und
Dichterinnen. Ja, wird man sagen, es lastete ein großer Druck aus
jenem Jtalien. Freilich, aber warum revoltierte die Frau nicht wenigstens?,
mehr als verbrannt werden ü 1a. Giordano Bruno konnte sie doch auch
nicht! Es genügte ihr durchaus die üußerliche Herrschast; sie blühte
körperlich wundervoll aus, indeß der Mann auch üußerlich verkam. Aehn-
liche Epochen könnte man wohl in der Geschichte jeden Volkes nachweisen.
Doch genug und übergenug, es ist doch unmöglich, eine unserer modernen
„Kämpserinnen" zu bekehren, die „Unterdrückung durch den Mann" ist
längst stxe Jdee geworden. Auch ist der Kunstwart ja nicht zur Be-
sprechung der Frauenfrage als solcher da. Wohl aber muß es ihn
kümmern, wenn schöne Talente wie das Helene Bohlaus sich künstlerisch
zu Grunde richten, indem sie, anstatt zu gestalten, sich bemühen, den
Männern gegenüber große Worte zu machen. .Selbst dem Aeußeren des
Romans sieht man die Sucht, genialisch zu erscheinen, schon an; das
Ganze ist sozusagen in aphoristischer Btanier gehalten, nirgends mehr ist
rechter Zusammenhang, die Reden zeigen manieristische Poesie (vgl. die
Golgatha-Probe oben!), keine Natur mehr. Aber immer noch sinden sich
hier da gut beobachtete Einzelzüge, auch noch Humor. Das Kapitel, wo die
„Extravaganzen" der zu Vermögen gelangten gedrückten Frau dargestellt
werden, enthält wirklich jene eigentümliche Mischung von „Wonne und
Wehmut", die wir Deutschen Humor nennen. Hier und da btitzt auch
die gesunde Satire aus, durch die uns Helene Böhlau srüher so ost ersreut
hat. So, wenn sie uns den schrecklichen Dichter-Jüngling Goldschmitt

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