Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1899)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0119

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ikundscvau.

Literatur.

* Arthur Bonus ist ein Mann
mit einer Mission und einer Eigenart. Er
begann vor Jahrcn mit Aussätzen in
der „Lhristlichen Welt", die manchen
Gläubigen ängstlich machten, über die
gelehrte Leute den Kopf schüttelten und
die den Biedermann aufbrachten. „Be-
sinnliche Leute" aber hatten an diesen
poetischen Grübeleien, an diesem un-
ruhig bohrenden Geiste ihr Wohlge-
fallen. „Sollen wir Gott auch sür die
Sünde danken?", „Die Schöpfung
Gottes", „Schöpfung der Seele" hießen
rinige Titcl. Ein Verleger bat ihn
aus diesem und Aehnlichem ein Buch
zu machen, und so entstanden die zwei
Bändchen „Zwischen den Zeilen", die
bei Salzer in Heilbronn erschienen
sind. Was Bonus eigentlich wollte,
und was er voriges Jahr in einer
Selbstanzeige der „Theologischen Rund-
schau" auseinandersetzt, drückte er mit
dem Schlagwort aus: „Germanisierung
des Christentums." Nichts von einem
Deutschtum, Ueberlegenheit der ger-
manischen Rasse, von politischen Jde-
alen und Aehnlichem — nein: eine
Durchdringung unseres heutigen
Christentums mit dem Sagengeiste
germanischer Kraft und Schassens-
sreudigkeit, mit dem ftarken Lebens-
mut deutscher Vergangenheit. Den
wissenschastlichen Ausdruck dieser
Jorderung wollte Bonus in diesem
Oktober in einem Vortrag zu Eisenach
den „Freunden der christlichen Welt"
unterbreiten. Den sozialen hat er in
einer anonym erschienenen Broschüre
(alles im gleichen Verlag) „Von Stöcker
.zu Naumann" geliesert, die eine ver-
wirrende Fülle neuer Gesichtspunkte
bietet. Den poetischen endlich bringt
sein schon drei Jahre altes Buch
„Deutscher Glaube, Träumereien aus
der Einsamkeit" und sein „Gottsucher,
Hpmnen und Gesichte". Mir sind diese
beiden am meisten sympathisch, denn
fte sind am meisten Kunst; aus dem

letzten haben ja auch diese Blätter
einen Auszug („Eiskönig") gebracht.
Hat das ausschließlich religiöse Jnter-
esse und die theologische Wendung auch
bei scheinbar fernliegenden Gegen-
ständen in den zwei erstgenannten
Büchern hie und da etwas Ermü-
dendes, so kommt das „Prediger-
mäßige" in den zwei letzten nirgends
auf, und die wilde Schönheit und
glutvolle Pracht der Darstellung sesselt
allein. Ach, daß wir die germanischen
Sagenschätze mehr ausbeuteten und in
die Märchenwelt genießend und lernend
tiefer eindrängen! Daß wir sie nutzten,
nicht nur für die Musik, wie Richard
undjetztSiegfried WagnerundHumper-
dinck, und, wie Bonus will, für die «
Religion, nein, daß sie auch eine
Macht würden in aller Deutschen
geistigem Leben, wie das Theater, die
Zeitung, der Roman eine Macht istl
Laßt mich Philister sein: daß die Mär-
chen „zur Bildung gehörten" ! Wieviel
Unsegen stiftet dieser Bildungszwang
täglich und zu welchen Thorheiten ver-
leitet er! Sollte er nicht auch einmal
zum Segen werden können 2

Jch habe Bonus längst im Stich
gelassen und wollte doch noch sagen,
daß ich ihn am meisten als Kritiker
schütze, mag das auch kein Kompliment
sein. Den Feldzug, den er unter dem
Pseudonyrn Fritz Benthin in der
„Christlichen Welt" gegen „Pedanten
und Philister" erösfnete, die prachtvoll
satirische Art, mit der er die Grott-
hußschen Bücher und die Christo-
terpe sezierte — von dem feinen, tiefen
Vergleich der Gedichte Nietzsches und
Lagardes (ebenda) nicht zu reden —
der tolle Humor endlich und vor allem,
mit dem er vorigen Sommers als
„Franz Brand" gegen die Nietzsche-
anbeter in den „Preußischen Jahr-
büchern" zu Feld zog — das alles sind
unschätzbare Dienste an der Sache der
Kunst und der feinen, natürlichen
Novemberheft ^899

W7
 
Annotationen