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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1899)
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Graf, Max: Anton Bruckner, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0188

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anstürmen. Aehnliche Erweiterungen des symphonischen Baues treten
gegen Schluß der ersten Sätze (Coda) ein, wenn es sich darum handelt,
die Dominantharmonieen zu verdecken und zu verschleiern. Dies geschieht
immer in sinnreichster und genialster Weise. Bald wird die Dominant-
harmonie weit zurückgerückt, bald tritt sie gleichsam versteckt in Neben-
stimmen ein . . . So, in ihrem kunstvollen Baue erinnern die Anßensätze
der Symphonieen Bruckners wohl an gotische Dome, bei welchen die Fülle
an architektonischen Zieraten, Verkleidungen, an Schnörkelwerk, die großen
Hauptverhältnisse den ersten Blick verdecken. Jn den Mittelsätzen der
Symphonieen walten die einsachsten Verhältnisse vor, wenn auch die
erhabene Jnspiration die musikalischen Bogen groß und weit wölbt. Jn
den Adagios bevorzugt der Künstler die Variationsform im Sinne der
großen Variationswerke Beethovens, in welchen die einzelnen Variationen
gleichsam Stusen der Himmelfahrt des heiligen Geistes bedeuten. Deshalb
— weil die Adagien eine Reihe immer größerer Verzückungen bedeuten —
wäre es Bruckner unmöglich gewefen, einen langfamen Satz mit einem
ll'orrs-Schlag abzuschließen: sie verklingen und verschweben alle im
sanstesten piÄvUUmo. Die Form der Scherzi ist durch die Klassiker
gegeben. Geniale Erweiterungen treten in den Trioteilen ein. Hier
wird die kräftige Bauernfreude, welche sich in den Außenteilen regt,
gleichsam spiritualisiert. Was dort ein müchtiger „G'stampfter" war,
wird hier zum Reigen von Amoretten und Genien.

Einer der charaktervollsten Züge in der Kunstwelt Anton Bruckners,
für die Erhabenheit seiner Kunstziele bezeichnend, ist das Eintreten reli-
giöser Stimmungen in seine weltlichen Werke. Jch habe schon die
Choräle erwähnt, welche die höchsten Spitzen der Entwicklung seiner
Sätze kennzeichnen. Sie treten entweder in den ersten Sätzen ein und
wachsen dort aus den Hauptthemen durch gewaltige Vergrößerungen
heraus, wie z. B. in der vierten (romantischen) Symphonie, oder sie
senken sich ganz neu, gleichsam aus dem Himmel auf das Werk nieder,
wie in der ersten, zweiten, dritten Symphonie. Ebenfo steigen aus den
langsamen Sätzen Choralgebilde auf. Jn wundervoller Bedeutung hat
Bruckner fo in das Adagio der zweiten Symphonie einige Takte feiner
ill-inoll-Meffe eingeflochten und zwar den Refrain: iri nomivo
ck o m iv i, Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn. Meist
aber gipfelt das ganze Werk in gewaltigen Chorälen, um welche die
Fanfaren anderer Themen herum tönen: vielleicht am gewaltigsten am
Schlusse der fünsten Symphonie, eincm wahren Pfingstfeste des musi-
kalischen Geistes. Jn diesen Choralumwandlungen liegen mystische
Elemente der Natur Bruckners verborgen. So träumte der Künstler ost
oon einer Oper, deren Klimax die Erscheinung des Erlöfers vor einer
erlösungssüchtigen Menge sein sollte. Aehnlich etwa wird man auch die
Choralwandlungen der Symphonieen deuten können. . .

Nach diesen Erörterungen wird man es mir verzeihen, wenn ich auf
die Vorwürfe von Verwirrtheit, Mangel an Logik, Sprunghaftigkeit,
welche die kritifchen Uuintelligenzen der Brucknerfchen Kunstwelt machen,
nicht eingehe. Jn diesem Punkte ziemt es dem Verehrer der Werke
Bruckners ebenso zurückhaltend zu sein, wie dem Verächter dieses Künst-
lers. Jmmer und zu allen Zeiten wiederholt sich dieser Vorwurf, wenn
ein neuer Küristler und ein neuer Stil vor die träge Welt tritt; wie es

Annstwart
 
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