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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1899)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0212

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Ikundscbsu.

Literatur.

* Wilhelm Jensen hat statt
eines rnodernen, symboliftisch ange-
hauchten Romans, wie in den letzten
Jahren, wieder einmal einen histori-
schen geschrieben, „Um die Wenüe des
Jahrhunderts"(Dresden, Reißner), und
ich muß gestehen, daß ich darüber
sroh bin: denn ich lobe lieber, als ich
tadle. So recht alle Register des Lobes
aufziehen kann ich diesmal freilich doch
nicht, dazu gleicht das neue Werk all-
zusehr einem älteren, einem der besten
Werke des Meisters, dem Roman „Am
Ausgang des Reiches", der in der-
selben Zeit, um 1800 spielt, dieselben
Verhältnisse darstellt, ähnliche Cha-
raktere, ja, nahe verwandte Ersin-
dungen verwendet. Aber man hat,
wenn Jensens Phantasiekraft und
Stimmungsfülle sich einem historischen
Stosse vermählen, jederzeit einige er-
lesene Genüsse zu erwarten, und daran
mangelt's denn auch hier nicht. Noch
jetzt, vier oder fünf Wochen, nachdem
ich den Roman gelesen, sallen mir
ganz unvermittelt einzelne wunder-
bare Vilder und Situationen aus ihm
ein, sür mich immer ein Zeichen, daß
Ursprüngliches und Vollausgestaltetes
in einem Werke oorhanden ist. Es
ist auch hier, trotz aller Manier, die
bei Jensen nicht wegzuleugnen ist. Jm
ganzen wird man Jensen, glaube ich,
einmal zugestehen müssen, daß er in
Deutschland eine neue Art des histo-
rischen Romans geschaffen, die phan-
tastische im Gegensatz zu der realisti-
schen, die am besten wohl immer noch
Willibald Alexis vertritt. Der Realist
sucht sich in die vergangene Zeit treu-
ehrlich einzuleben, und es gelingt ihm,
indem er sich dem Boden, auf dem die
Ereignisse spielen, womöglich mit
Heimatliebe anschmiegt und aus tau-
send kleinen Zügen endlich auch ein
geschlossenes Bild des Ganzen ge-
winnt; der Phantasiemensch bringt die
gewaltige Anschauung einer Zeit mit,
Kunstwart

der sich dann der eigentliche Stoff
sügen muß, und rvirkt nicht durch
Treue im einzelnen und liebevolle
Kleinarbeit, sondern durch die alles
durchdringende Stimmung. Beide
Arten des historischen Romans sind,
wie ich glaube, berechtigt und wohl
auch seit dem Auftreten der Gattung
dagewesen; wenigstens scheint mir
Viktor Hugos „Notre-Dame", gegen
die Werke Scotts und gegen Manzonis
„Verlobten" gehalten, schon der phan-
tastischen Art anzugehören und der Vor-
läufer der Jensenschen Romane zu sein.
Man schützt diese letzteren in Deutsch-
land noch kaum genug, eben weil man
hier unberechtigte „realistische" An-
sprüche an sie stellt. A. B.

* Klara Viebigs neuer Roman
„Es lebe die Kunst" (Verlin, Fontane)
bietet Gelegenheit zur Erörterung einer
wichtigen Frage, die auch den Kunst-
wart angeht. Die durch ihre Eifel-
geschichten bekannt gewordene Dichterin
stellt in ihrem Werke die Entwicklung
einer aus der „Provinz" nach Berlin ge-
kommenen äußerst talentvollen Schrift-
stellerin dar, die von der Berliner,
in Literatur machenden Gesellschaft zu-
erst begeistert aufgenommen, dann,
weil sie einen unbedeutenden Menschen
heiratet, sallen gelassen, darauf
von einer wahren Erfolgwut erfaßt
und hierfür durch eine schwere, in der
Hauptsache unverdiente Niederlage be-
straft wird. Jn der Stille ihrer Heimat,
durch die Liebe ihres Mannes genest
die Schriftstellerin, und wir sollen zum
Schluß annehmen, daß sie in Zukunst
den Weg der echten Künstlerin gehen
wird, die sich durch Erfolg und Nicht-
erfolg nicht beirren läßt. Man sieht,
der Roman hat eine äußerst lobens-
werte Jdee und wäre, was dies be-
trifft, den weiblichen Schwarmgeistern
unserer Zeit aufs angelegentlichste zu
empfehlen. Aber ich halte ihn doch
für bedenklich. Die Kämpfe der Schrift-
 
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