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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1899)
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Warum wir uns über die Heimatkunst freuen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0234

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Heimaterde, zu den Menschen der Heimat. Die behütet sie vor allen
Abwegen der modernen Kunst, die erhebt sie in ihrem beften Wirken zu
wahrer Dichtung.

Es hat wohl lmmer eine Heimatkunst gegeben; eine Richtung in
der Kunst aber wurde sie, als die „Moderne" immer mehr ihre Wurzeln
in sester Erde verlor, als sie immer mehr nur „literarisch" wurde. Das
ist immer das Verderben bei uns Deutschen gewesen; selbst unsere ältere
„Dorsgeschichte" Auerbachischer Art (zu der ich die Werke Jeremias
Gotthelss und Otto Ludwigs setstverständlich nicht zähle) war ein „lite-
rarisches" Produkt. Wer wollt' es da nicht mit Freuden begrüßen,
wenn sich endlich bewußt eine Kunst ausbildet, die das Wurzeln im
Heimatboden, statt in dem Abstraktum, das der Naturalismus „Wirk-
lichkeit" nennt, als unbedingt zu sordern hinstellt? Man malt die Sonne
durch den Sonnenschein, den Sonnenschein, auf den Gegenständen
ruhend, nein, sie geradezu schassend, also durch sonnenglänzende Gegen-
stände — und da ist nichts zu klein. Warum soll's in der Dichtung
anders seind Merkwürdige Menschen, merkwürdige Schicksale bringt
jeder Boden hervor, und die Sonne der Zeit fällt auch auf jeden. Fällt
sie durch ein Blätterdach hindurch, vielleicht um so besser. Die städtische
Bildungswelt und die städtischen Bildungsmenschen kennen wir seit
langem einigermaßen; wenn aber die Zeitbewegungen aufs Land dringen
und auf weniger „infizierte" Menschen wirken, so ergibt das am Ende
noch neue Wirkungen. Jm übrigen steht nirgends geschrieben, daß die
Heimatkunst Dorfkunst sein soll; auch die Städte, selbst die großen,
haben noch ihren §oniu8 looi, und ihre von ihm beeinflußten Menschen,
die sind auch für die Heimatkunst da. Man denke an den alten Fontane.
Elektrisches Licht, Asphaltpflaster und die neueste „Frage" thun es
aber nicht.

Eine Kunst großen Stils ist die Heimatkunst wohl nicht, aber sie
ist keineswegs eng und beschränkt, sie hat ihre Ausblicke ins große Leben,
sie kennt die Zeit. Die Leute, die thun, als ob der moderne Hcimat-
künstler sich in seinen Winkel verkriechen, nur das quietistische Behagen
heroorrufen wollte, wissen überhaupt nichts von ihm. Er will allseitig
wirken, will von den Salon-, den Theater-, den Nebenmenschenhelden,
die fo bedenklich grassierten, und von ihrer Treibhausatmosphäre
los, will das Volk wieder bei der Arbeit suchen, aber auch die Ge-
bildeten gehören ihm zum Volk. Mit der Dichtung Shakesperes, Goethes
und Schillers kann er nicht wetteisern, das weiß er recht gut, aber er
weiß auch, daß es lächerlich ist, diese unsere Zeit als Muster vorzu-
halten. Zur Dichtung großen Stils gehören Genies und ganz große
Talenie, und wo sind denn die zur Zeit in Deutschland? Sie leben,
mit ganz wenigen Ausnahmen, doch wohl nur in der Einbildung und
in der Reklame. So hat im Grunde jeder Heimatkünstler das „Be-
scheide dich!" als Wahlspruch, daneben aber auch die gewisse Zuversicht,
daß sein Thun einen Zweck hat, daß er den Boden der Zukunst be-
urbeitet, indem er die Kunst seiner Zeit wieder gesund micht. Jft denn
je etwas dabei herausgekommen, wenn mittlere Talente den Stil der
-Großen nachahmten, wenn sie absolut bedeutend sein wollten, den Jdeen
.der Zeit, diesen allein dienten? Wo ist der Roman des jungen Deutsch-
lands, der heute noch lebendig wäre, welches Drama im Schillerschen

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