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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1900)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Schöpfer und Verwerter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0265

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Lcböpker und verwerter.

Es war am Neujahrstage 2000. Auf der Straße draußen rauschte
das Jahrtausendfest, aber über den großen Garten hallt' es doch nur
gedämpft herein. Der alte Herr klappte das vergilbte Buch zusammen,
und schritt dem jungen Studenten entgegen, der eben eintrat. „Stör
ich, Vater?" „Ja, — aber wie ein guter Geist. Jch habe mir meine
Privat-Jahrtausendfeier gemacht und in lauter Büchern vom Jahr s900
geschmökert. Erst wars ja zum Lächeln, aber wie die alte Zeit mich
richtig umspann, wards doch gruselig und allmählich beinahe ein Alpdrücken.
Da kamst du."

Der Besucher sah sich die Titel an — nur, wie sie aus den Rücken
der Einbände standen, das genügte ihm schon. „Mich leidets in jener
Zeit auch nicht. Mir wird immer dabeü als säh ich die Menschen an-
rennen gegen gläserne Mauern, die sich nicht sehn. Oder auch: als
säh ich sie an Lasten heben, die denen die Füße zerschmettern, die ein-
mal nachlassen, während die andern just anheben. Eine Kraftvergeudung
ohnegleichen, weil jede Ordnung der Kräste sehlt. Eine Menge Arbeiter,
aber höchstens einmal durch Zusall einer dort, wo er hingehört."

Der andere lehnte sich behaglich im Stuhle zurück. „Daß Jhr
Jungen die Gescheiten seid, war immer so. Mein Studentlein, ich habe
noch mit Leuten verkehrt, deren Kindersüße selber in jener Zeit herum-
liesen, da seh ich sie mehr als ein Ganzes."

„Erzähl mir wieder mal davon, gerade heute."

Der Alte steckte sowieso mit den Gedanken noch zwischen den
Büchern. „Ein gutes Stück weit hast du ja recht mit deiner Meinung,
Junge. Der klar ordnende Gedanke fehlte zwar nicht, aber er war doch
nur in den Einzelnen, die Allgemeinheit nahm ihn noch nicht an, und
so fehlte ihm sürs unmittelbare Wirken die durchführende Macht. Vor
allem: die Allgemeinheit ersaßte noch nicht den ungeheuern Wesens- und
Wertunterschied zwischen Schaffen und Vermitteln, zwischen geistigem
Erzeugen hier und geistigem Einspeichern und Ausnutzen dort. Uns ist

Nllnstwart 1. Ianuarhest ^900

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