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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 7 (1. Januarheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Heinrich Heine
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Göhler, Georg: Die neuesten grossen Chorwerke, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0274

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Lyrik überhaupt nicht da. Es ist manirierte Rezeptpoesie und kokette Ge-
fühlsposerei. Ueber diese Reimereien jedoch, die Heine populär gemacht
haben, weil jeder Schwung und jede Mamsell sie so reizend sand, wie später
die Verse von Rittershaus oder Julius Wolss, hoch über diese Nichtig--
keiten erheben sich auch liedartige Heinesche Gedichte von zweierlei Gattung.
Die einen geben sür unser Volk das Wertvollste, was ihm Heine geschenkt
hat: jene schlicht-edeln Dichtungen, bei deren Schaffen das deutsche Volks-
lied dem Dichter den Halt gewährte, den er in sich selber nicht sand.
Jch erinnere an die „Loreley" und die „Wallsahrt nach Kevlaar". Die
andern sind die tiefsten und echtesten seiner subjektiven Gedichte, wie
„Altes Lied", „Für die Mouche" und manches aus seiner Leidenszeit,
das gerade in seiner Zerrissenheit den ganzen Jammer dieses Menschen-
herzens aus das Ergreifendste ausdrückt.

Fassen wir zusammen. Wir verstehen es nicht, wenn man Heines
„Lüderlichkeit" und seinen Mangel an Vaterlandsliebe ihm heute noch
vorwirft. Wir halten die sreiheitlichen Jdeen, die er verbreitet hat, sür
der Verbreitung durchaus wert und halten Heine sür den glänzendsten
schriststellerischen Verwerter dieser Jdeen. Aber ihr Schöpfer war er nicht,
deshalb verstehen wir nicht, wie man ihn als einen der großen Gedanken-
schöpser und Führer unseres Volkes zur Freiheit preisen kann. Heine ist serner
nicht der größts' Dichter nach Goethe gewesen — an tiefem Lebensgehalt
reicht alles, was er gegeben, nickst heran an die Fülle, die wir z. B. einem
Hebbel, Ludwig oder Keller verdanken. Er ist auch nicht der „größte
deutsche Lyriker seit Goethe" gewesen. Wer damit begnadet ist, in die
traumseherische Tiese von Schöpfungen wie Mörikes „Um Mitternacht"
oder Kellers „Abendlied" nachdringen zu können, wird keinen Augenblick
darüber im Zweisel sein. Es ist auch gut, daß Heines Einsluß auf
unsre Dichter gebrochen ist, denn er, unter dem wir alle in unsrer Jugend
gestanden, wies nicht auf das Jnnere der Dinge hin, sondern veräußer-
lichte unser Bilden. Aber einer unserer bedeutendsten Lyriker nach
Goethe, das war Heine halt doch. Der nicht schlechte, nicht erbärm-
liche, aber unglückselig gemischte Charakter Heines des Menschen hat
ihm das seste Beruhen in sich selber und das selbstlos innige Sichein-
fühlen in die Welt versagt. Will man Heine in eine Reihe stellen mit
den ganz Großen unseres Volkes, womöglich gar mit einem Goethe, so
werden wir solch ungeheuerliche Ueberschätzung bedauern, auch weil sie
viele minder Besonnene im Widerspruch zu einer Unterschätzung Heines
sühren muß. A.

Dle neuesten grossen Lborwerke.

Unter den vielen Nachteilen, welche die Musik insolge ihrer späten
und unregelmäßigen Entwicklung gegenüber den andern Künsten zu tragen
hat, ist einer der sühlbarsten die ungenügende Begriffsbestimmung ihrer
einzelnen Gattungen und Formen. Denn nicht nur, daß dasselbe Wort
(wie Symphonie, Sonate, Toccata, Oratorium) im Lause der Zeiten sehr
verschiedene Kunstsormen bezeichnet hat, — auch jetzt noch herrscht eine
Willkür im Gebrauch von Gattungsnamen, die unbedingt verschwinden
muß. Jst doch Klarheit und Sicherheit in der Wesensbestimmung nicht
bloß sür die Wissenschaft Pflicht, sondern auch Klugheit sürs Leben.

Runstwart

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