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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1900)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Die neuesten grossen Chorwerke, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0318

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bisherigen Leistungen. Er ist unzweifelhaft eine jener von Geburt
musikalifchen Naturen, wie fie ja durchaus nicht felten find; er hat fogar
selbftändige Erstndung und künftlerifche Kraft. Aber das meiste ift eben
„unreif". Er ist ein Naturburfche, der forglos feine Gaben verschwendet
und, wenn er nicht gründlich Fehlendes nachholt, bald nichts mehr haben
wird. Jhm fehlt vor allem jeglicher Sinn für musikalische und poetische
Syntax. Seine Kunst ist fast durchweg ein ungeniertes Drauflosmusi-
zieren. Da gibts törichte Textwiederholungen in Mengen, da kommt
zwischen „und Christus sprach" und der folgenden Rede fast immer ein
ganzes Musikstück, da wird ein Läufer-Motiv, mit dem Magdalena zu
Petrus eilt, luftig über lange Seiten hin fortgefponnen, auch, als sie
dann lüngst da ist und klagt: „Jch weiß nicht, wo sie ihn Hingelegt
haben." Von einer Logik in der Modulation ist keine Rede. Perosi hat
sehr wenig gelernt, darunter aber leider das an sich für Meister fehr
richtige: „Alles ist erlaubt." Nun wird moduliert und charakterisiert,
daß es oft klingt, als ob ein übermütiges Kind am Klavier säße, das
einmal recht tolle Musik machen wolle. Diffonanzen und Uebergänge
frechster Art werden gebracht ohne jede innere Notwendigkeit; eine musi-
kalische Entwicklung, die der Verwandtschaft der einzelnen Tonarten
Rechnung trüge und dadurch wirkte, gibts nicht. Eine bunte Welt ist's,
die uns Perosi vorführt: Chor-Rezitative (in Falfo-Bordone), fchlichte
Sätze im Tone der alten Kirchenkomponiften, Hymnen und Sequenzen
stehen Zwischen Ariosos, in denen gefühlvolle Terzen und Sexten bis
zum Ueberdrusse ausgenützt werden, wechseln mit Jmitationen der Art
Bachs, mit Mendelssohniaden, Lohengrin-Zitaten, Bauern-Ehren-Andeu-
tungen und Parsifal-Glockenklängen: kurzum, eine Stillosigkeit, die nicht
leichr zu überbieten ist. Der Chorsatz ist ganz primitiv, im Kontrapunkt
viel Ungeschick; sehr tief stehen die gefchmacklosen Orchester-Variationen,
die zwischen die Verfe der Chor-Hymnen eingestreut sind, deren Thorheit
der Komponist aber selbst eingesehen zu haben scheint, da er sie sich und
seinen Hörern in den letzten Werken schenkt. Von einem vernünftigen
Rezitativ ist natürlich keine Rede, alles ist arios und durch Zwischen-
spiele entfetzlich zerrissen. Ansätze zum Charakterisieren sind vorhanden,
aber sie werden gleich typifch. Sobald jemand nufsteht und fortgeht, ist
für einen Takt nnt fröhlicher Musik zu garantieren. Leitmotive sind
jedoch oft fehr gefchickt verwendet. Merkwürdig ist, daß Perosi oft recht
ungesanglich fchreibt, einzelne Seiten haben äußerst unbequeme Lagen
für den Sänger.

Der Bedenken gegen Perosis Musik sind also fehr viele, aber trotz-
dem ist nochmals zu betonen: Es ist viel musiknlische Naturkraft in den
Werken. Sie waltet meist sinnlos, aber diese Sorg- und Gewissenlosig-
keit ist keine Pose. Jch bezweifle, daß der weltberühmte bleiche Mann
den Mut haben wird, noch alles das zu lernen, was er können müßte,
um als Künstler ernst genommen zu werden. Aber wir haben dann
eben das Zugrundegehen eines reichen natürlichen Kunstvermögens zu
beklagen, das verwildert ist. Neben harmonisch interessanten und melo-
disch fchönen Partien zwischen weiten Wildniffen gibt es nämlich sogar
^— das ist bekanntlich das Seltenste — poetische Lichtblicke. Auch Kunst-
griffe der alten Technik werden — gewiß unbewußt — mit Glück wieder
aufgenommen. Wie z. B. vor reichlich ^jOO Jahren die alten Kontra-
Runstwart
 
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