Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben (13,1.1899-1900)

Oder aber, er kann eine natürliche Handlung sich abspielen lassen in Formen,
die auf dem Theater, weil nicht dramatisch, unzulässig wären, indem man dort
nur so viel Nede brauchen kann, als zur Handlung gehört, Rede ohne Hand-
lung aber nicht gebrauchen kann. Vorgänge, in denen trotz ihrer zeitlich langen
Dauer die Handlung stillsteht, sind im Bühnendrama unmöglich, im Lesedrama
(wie im Romane) angebracht, um eben den gesprochenen Gedankengang ge-
müchlich weiterspinnen zu können. w. Schw.

Lose Mätter.

Ge-ichte von Paul Lseyse.

Vorbemerkung. Paul Heyse wird am ^5. März siebenzig Jahre
alt. Der Kunstwart hat über ihn schon viel geschrieben, heute, zu seinem
Jubeltage, möcht' er sich auf seinen Glückwunsch beschränken. Von ihrem
Wert möge die Heysesche Kunst heut ganz allein durch sich selber
Zeugen. Die nachfolgenden Gedichte, die zu ihren edelsten Blüten gehören,
sind Heyses beiden Sammlungen „Gedichte" und „Neue Gedichte und
Jugendlieder", das feine Stück „Die Schlange" ist den „Novellen in Versen"
entnommen. Alle Werke von Heyse sind in der Besserschen Buchhandlung
(W. Hertz) zu Berlin erschienen. Den „Neuen Gedichten" entstammt auch die
schöne erzählende Dichtung „Die Mutter des Siegers", die wir unsern Lesern
schon mit dem ersten Dezemberheft 1,897 vorgelegt haben.

B a l d e r.

Seele, wie schweifst du
Aetherbeschwingt
Das All entlanq
Durch Tiefen und Söhnl

In deiner Armut
welche Füllel
In ewger Unrast
wie heilge Stillel

Frei über Alles
Und stets gebunden,
Seele, wo hast du
Dein Ziel gefunden?

Geftirn und Sonnen
Umkreist dein Flügel
Und weilt mit wonnen
Am Veilchenhügel.

Die wiege der Blitze
lheimelt dich an;

Zum wolkensitze
Stürmst du hinan.

Und wieder innig
Im engsten Rreise,
Zärtlich uud finnig,
Schüchtern und leise,

Kunftwart