und kühlster Geduld muß sie ins Leben geführt roerden. Wir wollen
vom Volk, datz es nicht nur der Früchte genietzen, nein, datz es auch in seinen
Kindern die Keime erkennen und pflegen kann, aus denen die Früchte
werden. Die Rede von der Ueberlegenheit der französischen Kunst
schlechthin war eine törichte Suggestion; eine allgemeine Befreiung von
ihr muß uns mit dem rechten Stolz die rechte Freude zur grotzen
Arbeit geben. A.
Die lyriscbe Frage.
Ohne Zweifel, es gibt zur Zeit eine lyrische Frage, man weiß nicht
recht, was werden soll mit der deutschen Lyrik. Der alte Stil, der Stil
der Goethe und Mörike, Uhland und Heine, Storm und Keller, der, sagl
man uns, ist tot, obwohl eine gewandte Eklektikerschar noch immer in
ihm liefert und mit dem Verschleitz beim grotzen Publikum die besten Ge-
schäfte macht. Der neue Stil aber, der Stil der Nietzsche und Dehmel,
der Stephan George und Hofmannsthal (wenn er denn überhaupt ein
einheitlicher Stil war) ist bereits in Manier umgeschlagen, und der
Manierismus hat niemals eine Zukunft. Was sollen wir nun thun?
Sollen wir zu Goethe oder Mörike zurück oder sollen wir auf den
Bahnen der Modernen weiter? Das ist die lyrische Frage unserer Zeit.
Jst es etwa keine wichtige Frage? Lyriker werden immer geboren, sehr
viele haben auch Eltern, die für die erste Sammlung die Druckkosten
tragen, und es wäre doch schade, wenn sich all diese hoffnungsvollen
jungen Leute in der Wahl des Stiles vergriffen. Denn selbstverständ-
lich kann man sich schon bei geringem Talent den Stil selbst wählen.
Nimm eincn Dichter, lies eifrig drin und übe dich fleitzig im Gefühls-
Balanzieren und Gemüts-Voltigieren, so mützt' es doch mit dem Teufel
zugehen, wenn du nicht seine „Tricks" heraus bekämst.
Nein, ernsthaft: mir schcint, wir stehen jctzt auch auf dem Gebiete
der Lyrik an einem Wendcpunkte, und es mutz sich demnächst entscheidcn,
ob auch die neueste lyrische Entwicklung, vom Standpunkte des Nationalen
aus gesehen, ebenso ergebnislos verlaufen soll wie leider dic des Dramas.
Unter dem Sehen vom nationalen Standpunkte verstehe ich (um die-
jenigen zu beruhigen, sei es gesagt, die bei mir neuerdings immer gleich
Chauvinismus und Reaktion wittern) weiter nichts, als die nach
längcrer Dauer einer Entwicklung doch sicher nicht zu umgehende Be-
trachtung dcs Geleisteten auf scine allgemcine und dauernde Bedcutung
sür unsere Kultur hin. Also: sind künstlerische Werte hervorgebracht worden,
die nicht nur vereinzeltcn besonders veranlagten und vorbereiteten Geistern,
sondern den Kunstempfänglichen der Nation überhaupt auf die Dauer
ctwas geben? Die Frage ist wirklich nicht gleichgültig. Leicht zu beant-
worten ist'sie natürlich nicht. Aber wir beobachten doch allerlei. Wir
beobachtcn cincrseits, datz einige lyrische Eklektiker aus vielcm Alten
und wcnigcm Ncuen alle Jahre neue Gedichtbücher zusammenreiincn, mit
dencn der Handcl ganz schwunghaft gcht. Wir beobachtcn anderscits, datz
Lyrikcr wie Dehmel seit ziemlich langer Zeit, was ihre Wirkung auf die
Gebildcten anlangt, aus dem nämlichcn Flecke geblieben sind. Die
Eklektiker nun, wie Karl Bussc und Anna Ritter, geben ja überhaupt
kcine Kunst erster Hand. Abcr ist die Kunst der Modcrnen eine? Um
N Gktoberbeft >900
vom Volk, datz es nicht nur der Früchte genietzen, nein, datz es auch in seinen
Kindern die Keime erkennen und pflegen kann, aus denen die Früchte
werden. Die Rede von der Ueberlegenheit der französischen Kunst
schlechthin war eine törichte Suggestion; eine allgemeine Befreiung von
ihr muß uns mit dem rechten Stolz die rechte Freude zur grotzen
Arbeit geben. A.
Die lyriscbe Frage.
Ohne Zweifel, es gibt zur Zeit eine lyrische Frage, man weiß nicht
recht, was werden soll mit der deutschen Lyrik. Der alte Stil, der Stil
der Goethe und Mörike, Uhland und Heine, Storm und Keller, der, sagl
man uns, ist tot, obwohl eine gewandte Eklektikerschar noch immer in
ihm liefert und mit dem Verschleitz beim grotzen Publikum die besten Ge-
schäfte macht. Der neue Stil aber, der Stil der Nietzsche und Dehmel,
der Stephan George und Hofmannsthal (wenn er denn überhaupt ein
einheitlicher Stil war) ist bereits in Manier umgeschlagen, und der
Manierismus hat niemals eine Zukunft. Was sollen wir nun thun?
Sollen wir zu Goethe oder Mörike zurück oder sollen wir auf den
Bahnen der Modernen weiter? Das ist die lyrische Frage unserer Zeit.
Jst es etwa keine wichtige Frage? Lyriker werden immer geboren, sehr
viele haben auch Eltern, die für die erste Sammlung die Druckkosten
tragen, und es wäre doch schade, wenn sich all diese hoffnungsvollen
jungen Leute in der Wahl des Stiles vergriffen. Denn selbstverständ-
lich kann man sich schon bei geringem Talent den Stil selbst wählen.
Nimm eincn Dichter, lies eifrig drin und übe dich fleitzig im Gefühls-
Balanzieren und Gemüts-Voltigieren, so mützt' es doch mit dem Teufel
zugehen, wenn du nicht seine „Tricks" heraus bekämst.
Nein, ernsthaft: mir schcint, wir stehen jctzt auch auf dem Gebiete
der Lyrik an einem Wendcpunkte, und es mutz sich demnächst entscheidcn,
ob auch die neueste lyrische Entwicklung, vom Standpunkte des Nationalen
aus gesehen, ebenso ergebnislos verlaufen soll wie leider dic des Dramas.
Unter dem Sehen vom nationalen Standpunkte verstehe ich (um die-
jenigen zu beruhigen, sei es gesagt, die bei mir neuerdings immer gleich
Chauvinismus und Reaktion wittern) weiter nichts, als die nach
längcrer Dauer einer Entwicklung doch sicher nicht zu umgehende Be-
trachtung dcs Geleisteten auf scine allgemcine und dauernde Bedcutung
sür unsere Kultur hin. Also: sind künstlerische Werte hervorgebracht worden,
die nicht nur vereinzeltcn besonders veranlagten und vorbereiteten Geistern,
sondern den Kunstempfänglichen der Nation überhaupt auf die Dauer
ctwas geben? Die Frage ist wirklich nicht gleichgültig. Leicht zu beant-
worten ist'sie natürlich nicht. Aber wir beobachten doch allerlei. Wir
beobachtcn cincrseits, datz einige lyrische Eklektiker aus vielcm Alten
und wcnigcm Ncuen alle Jahre neue Gedichtbücher zusammenreiincn, mit
dencn der Handcl ganz schwunghaft gcht. Wir beobachtcn anderscits, datz
Lyrikcr wie Dehmel seit ziemlich langer Zeit, was ihre Wirkung auf die
Gebildcten anlangt, aus dem nämlichcn Flecke geblieben sind. Die
Eklektiker nun, wie Karl Bussc und Anna Ritter, geben ja überhaupt
kcine Kunst erster Hand. Abcr ist die Kunst der Modcrnen eine? Um
N Gktoberbeft >900