ikulturarbeiren. *
Als ich den Kunstwartlesern sprach von den Sünden. die wir in unserin
Heim begehen, und mie verhältnismaßig einfach es sci, da zu bessern,
handelte sich's um Privatsünden, die den Augen der Allgemeinheit
entzogen blieben. Der thut's ja ivenig weh, ob hinter jenen Fenstern
dort ein behagliches Heim liegt, das zum Ausdruck des Seins des
Besitzers gcworden ist, oder keins.
Die Rechnung stimmr jedoch nicht ganz. Seine Wohnung ist
der einzige Gegenstand, an dem dcr Durchschnittsmensch sich künstlerisch
bethätigt. Sie ist gleichsam der Uebungsplatz seines künstlerischen
Kultur-Gewissens. Treibt man's, wie man's meistens treibt, so entwickelt
sich hier jene Entfremdung von Sachlichkcit, von Vernunft und Logik,
bildet sich hier aus jenes Versagen des einfachen Gefühls für Lebem
überall da, wo der Mensch aufs Gestalten angewiesen ist.
Ein „Gestalten", d. h. der Jdee die Realitüt zu verleihen, bei der
Kultur des Sichtbaren also die üußerliche Formgebung, irgcndwie geschieht
es ja von jedem Sterblichen sein ganzes Leben hindurch. Dagegen
gemessen schrumpft das Gestaltcn im engeren künstlerischen Sinnc zu
einem Faktor zusammen, den man ganz übcrsehen könnte in jenem
großen Ganzen, das die Veränderung der ganzcn Erdoberfläche durch
Menschenhand bedcutet. Daran arbeiten ja alle mit: der Bauer und der
Jngenieur, der Kaufmann wie dcr Gärtner, der Seemann wie der Sol-
dat, der Förster wie der Baumeister, allc, vom Chausseearbeiter an, der
die Straße glatt machi, bis zu der alten Frau, die ihre Blumcn vorm
Dachkammerfenster zieht.
Tas allcs ist keine Kunst im Sinne des Oelfarben- oder Marmor-
spezialisten. Aber thatsächlich gehört alles Gestalten derselben Familie
an, der auch das künstlerische Schaffen im engeren Sinne entspringt.
Und nur wenn es, so aufgesaßt, künstlerisch ist, hat es Kultur-Wert.
Nur, heißt das, wenn cs in vollkommenster Weise seinem Zwecke
dient. Dann muß sich diese Vollkommenheit auch in seiner üußeren
Form ausdrücken. Und ist der Zwcck sclbst ein ethisch berechtigter, so
wird sich das Einzelne auch wieder der Harmonie des Ganzen einordnen.
Der Mensch ist aber stets bestrebt, nicht allein eine einzelne Forderung
in dem Gestalteten zu erfüllen, sondern fast immer handelt es sich um
zusammengesetzte Forderungen. Ein bequemcr Stuhl soll nicht allcin
bequem zum Sitzen sein, sondern er soll dich auch srcundlich anblicken
und durch seine äußere Form zum Sitzen einladen. Erst dann kann
* Ber meinem vorigen Zyklus über dic „häuslichc Kunstpflcgc",
der dann bei Diederichs in Leipzig als Buch erschicncn ist, hat es nicht an
Solchen gesehlt, die schrieben, das seien ja Sachen, dic sie schon langst wüßtcn.
Hat schon einer dem Verfasser eincs französischen Lehrbuchcs gcsagt: das
ist doch ganz unnötig, in Frankreich könncn die Leute ja 'alle sranzösisch?
Jch schreibe nümlich für solche, die noch nicht „französisch könncn". Und wenn
hier viel von Häuserbaucn die Rede sein wird, so ist es nicht nnsere Absicht,
die guten Architekten belehren zu wollen, sondern unser Nat richtct sich an die,
welche Häuser bauen lassen. Daß ein solchcr iltat nicht übcrslüssig ist, zcigt die
traurige Verwüstung unsercs schönen Landcs durch die Ncubautcn seit der Mitte
des iy. Jahrhunderls, zeigt unser allgemein anerkanntes Bauelend überhaupt,
das auf jede Straße seine Greuel pflanzt.
Aunstwart
Als ich den Kunstwartlesern sprach von den Sünden. die wir in unserin
Heim begehen, und mie verhältnismaßig einfach es sci, da zu bessern,
handelte sich's um Privatsünden, die den Augen der Allgemeinheit
entzogen blieben. Der thut's ja ivenig weh, ob hinter jenen Fenstern
dort ein behagliches Heim liegt, das zum Ausdruck des Seins des
Besitzers gcworden ist, oder keins.
Die Rechnung stimmr jedoch nicht ganz. Seine Wohnung ist
der einzige Gegenstand, an dem dcr Durchschnittsmensch sich künstlerisch
bethätigt. Sie ist gleichsam der Uebungsplatz seines künstlerischen
Kultur-Gewissens. Treibt man's, wie man's meistens treibt, so entwickelt
sich hier jene Entfremdung von Sachlichkcit, von Vernunft und Logik,
bildet sich hier aus jenes Versagen des einfachen Gefühls für Lebem
überall da, wo der Mensch aufs Gestalten angewiesen ist.
Ein „Gestalten", d. h. der Jdee die Realitüt zu verleihen, bei der
Kultur des Sichtbaren also die üußerliche Formgebung, irgcndwie geschieht
es ja von jedem Sterblichen sein ganzes Leben hindurch. Dagegen
gemessen schrumpft das Gestaltcn im engeren künstlerischen Sinnc zu
einem Faktor zusammen, den man ganz übcrsehen könnte in jenem
großen Ganzen, das die Veränderung der ganzcn Erdoberfläche durch
Menschenhand bedcutet. Daran arbeiten ja alle mit: der Bauer und der
Jngenieur, der Kaufmann wie dcr Gärtner, der Seemann wie der Sol-
dat, der Förster wie der Baumeister, allc, vom Chausseearbeiter an, der
die Straße glatt machi, bis zu der alten Frau, die ihre Blumcn vorm
Dachkammerfenster zieht.
Tas allcs ist keine Kunst im Sinne des Oelfarben- oder Marmor-
spezialisten. Aber thatsächlich gehört alles Gestalten derselben Familie
an, der auch das künstlerische Schaffen im engeren Sinne entspringt.
Und nur wenn es, so aufgesaßt, künstlerisch ist, hat es Kultur-Wert.
Nur, heißt das, wenn cs in vollkommenster Weise seinem Zwecke
dient. Dann muß sich diese Vollkommenheit auch in seiner üußeren
Form ausdrücken. Und ist der Zwcck sclbst ein ethisch berechtigter, so
wird sich das Einzelne auch wieder der Harmonie des Ganzen einordnen.
Der Mensch ist aber stets bestrebt, nicht allein eine einzelne Forderung
in dem Gestalteten zu erfüllen, sondern fast immer handelt es sich um
zusammengesetzte Forderungen. Ein bequemcr Stuhl soll nicht allcin
bequem zum Sitzen sein, sondern er soll dich auch srcundlich anblicken
und durch seine äußere Form zum Sitzen einladen. Erst dann kann
* Ber meinem vorigen Zyklus über dic „häuslichc Kunstpflcgc",
der dann bei Diederichs in Leipzig als Buch erschicncn ist, hat es nicht an
Solchen gesehlt, die schrieben, das seien ja Sachen, dic sie schon langst wüßtcn.
Hat schon einer dem Verfasser eincs französischen Lehrbuchcs gcsagt: das
ist doch ganz unnötig, in Frankreich könncn die Leute ja 'alle sranzösisch?
Jch schreibe nümlich für solche, die noch nicht „französisch könncn". Und wenn
hier viel von Häuserbaucn die Rede sein wird, so ist es nicht nnsere Absicht,
die guten Architekten belehren zu wollen, sondern unser Nat richtct sich an die,
welche Häuser bauen lassen. Daß ein solchcr iltat nicht übcrslüssig ist, zcigt die
traurige Verwüstung unsercs schönen Landcs durch die Ncubautcn seit der Mitte
des iy. Jahrhunderls, zeigt unser allgemein anerkanntes Bauelend überhaupt,
das auf jede Straße seine Greuel pflanzt.
Aunstwart