ja für seine Werke einen empfänglichen Hörerkreis zu schaffen gewußt. Zieht
man auch die ab, die ihre Reise nach dem Festhügel von Bayreuth als Mode-
sache betreiben, so bleibt doch noch ein kräftiger Stamm von wirklich andächtigen
Verehrern des Meisters übrig. Nun hat man ja schon oft an ein deutsches
Nationaltheater gedacht, und in neuerer Zeit taucht diescr altedle Traum von
einer großen deutschen Festbühne, einem „Bayreuth für das Wortdrama", wie
es Adolf Bartels jüngst genannt hat, wieder auf. Würde uns ein „Wagnsr
des Wortdramas" von der Gunft des Schicksals geschenkt, dann wäre uns
wohl bald geholfen, er ließe vielleicht auch bald diese patriotische Phantasie
Wirklichkeit werden. Sollen wir uns bis auf sein Kommen vertrösten und
lässig zusehen, wie die dramatische Kunst immer mehr dem Belieben und dem
Geschäftsbetrieb der Theaterleiter, dem haltlosen Kunstgeschwätz der landläusigen,
schwankenden Kritik und dem Lärm der Kliquen und Klaquen ausgeliefert und
dadurch verhängt wird? Sollen wir uns damit begnügen, daß das Theater
immer mehr eine Stätte bequemer Verdauung für gelangweilte Menschen wird,
„die nicht von den Mühen des Lebens, sondern vom Leben selbst ausruhen
wollen"? Nein, hier stehen mit den ästhetischen zugleich ethische und nationale
Jnteressen auf dem Spiel. Jeder praktische und theoretische Versuch zur Auf-
klärung ist deshalb freudig zu begrüßen. Jch bin nicht so töricht, und der welt-
kundige Verfasscr ist's ganz gewiß auch nicht, oon einem Buche eine unmittelbare
Umwandlung des öffentlichen Geschmacks und Urteils zu erwarten; aber anregen,
zum Nachdenken ermuntern, wecken und stärken kann es doch immerhin. Und
wenn dann „der Mann von edlem und großem Ehrgeiz" käme, der uns den
Traum von dem „Bayreuth für das Wortdrama" zur Wirklichkeit erstehen
ließe, dann fände er wenigstens einen Kern von verständigen Menschen, ein
„Starnmpublikum" sozusagen, das ihm hülfe, seine Festbühne oder sein National-
theater dauernd dem Banne der Routine und des modernen Geschäftsgeistes
zu entreißen. Dazu kann auch dieses Buch vom deutschen Drama beitragen.
Aarl Berger.
Lin Wriet zfrtedrteb tkierzsebes über /Ibetrikr.
Jm Herbst ;88q sandte Idi-. Carl Fuchs an Fricdrich Nietzsche zwei Hefte
seiner Schrift „Die Zukunft des musikalischen Vortrages und sein
Ursprung, Studien im Sinne der Riemannschen Resorm und zur Aufklärung
des Unterschiedes zwischen antiker und musikalischer Rhythmik". Der nachfol-
gende höchst interessante Brief, in dem Nietzsche ausführlich auf seine Studien
über Metrik und Rhythmik zurückkommt, ist die Antwort darauf.
Nizza (lleance)
rue 8t. llrancoie cls Uaule 26 H.
Winter i885/86.
Werther und lieber Herr Doctor,
glauben Sie daran, auch ohne daß ich es schriftlich bezeuge (was mir meine
Augen von Jahr zu Jahr wcniger erlauben —) daß nicht lcicht Jemand Jhren
Untersuchungen und Feinheiten mit mehr Theilnahme folgen kann als ich.
Wenn nur „Theilnahmo" ausreichte! Aber es fehlt mir an Wissen und Können
nach allen den Seiten hin, wo Jhre merkwürdig vielfältige Begabung liegt
Vor allem: es vergehen Jahre, in denen mir Niemand Musik macht, ich selbst
eingerechnet. Das Letzte, was ich mir gründlich angeeignet habe, ist Bizet's
2. Vktoberheft 1900
man auch die ab, die ihre Reise nach dem Festhügel von Bayreuth als Mode-
sache betreiben, so bleibt doch noch ein kräftiger Stamm von wirklich andächtigen
Verehrern des Meisters übrig. Nun hat man ja schon oft an ein deutsches
Nationaltheater gedacht, und in neuerer Zeit taucht diescr altedle Traum von
einer großen deutschen Festbühne, einem „Bayreuth für das Wortdrama", wie
es Adolf Bartels jüngst genannt hat, wieder auf. Würde uns ein „Wagnsr
des Wortdramas" von der Gunft des Schicksals geschenkt, dann wäre uns
wohl bald geholfen, er ließe vielleicht auch bald diese patriotische Phantasie
Wirklichkeit werden. Sollen wir uns bis auf sein Kommen vertrösten und
lässig zusehen, wie die dramatische Kunst immer mehr dem Belieben und dem
Geschäftsbetrieb der Theaterleiter, dem haltlosen Kunstgeschwätz der landläusigen,
schwankenden Kritik und dem Lärm der Kliquen und Klaquen ausgeliefert und
dadurch verhängt wird? Sollen wir uns damit begnügen, daß das Theater
immer mehr eine Stätte bequemer Verdauung für gelangweilte Menschen wird,
„die nicht von den Mühen des Lebens, sondern vom Leben selbst ausruhen
wollen"? Nein, hier stehen mit den ästhetischen zugleich ethische und nationale
Jnteressen auf dem Spiel. Jeder praktische und theoretische Versuch zur Auf-
klärung ist deshalb freudig zu begrüßen. Jch bin nicht so töricht, und der welt-
kundige Verfasscr ist's ganz gewiß auch nicht, oon einem Buche eine unmittelbare
Umwandlung des öffentlichen Geschmacks und Urteils zu erwarten; aber anregen,
zum Nachdenken ermuntern, wecken und stärken kann es doch immerhin. Und
wenn dann „der Mann von edlem und großem Ehrgeiz" käme, der uns den
Traum von dem „Bayreuth für das Wortdrama" zur Wirklichkeit erstehen
ließe, dann fände er wenigstens einen Kern von verständigen Menschen, ein
„Starnmpublikum" sozusagen, das ihm hülfe, seine Festbühne oder sein National-
theater dauernd dem Banne der Routine und des modernen Geschäftsgeistes
zu entreißen. Dazu kann auch dieses Buch vom deutschen Drama beitragen.
Aarl Berger.
Lin Wriet zfrtedrteb tkierzsebes über /Ibetrikr.
Jm Herbst ;88q sandte Idi-. Carl Fuchs an Fricdrich Nietzsche zwei Hefte
seiner Schrift „Die Zukunft des musikalischen Vortrages und sein
Ursprung, Studien im Sinne der Riemannschen Resorm und zur Aufklärung
des Unterschiedes zwischen antiker und musikalischer Rhythmik". Der nachfol-
gende höchst interessante Brief, in dem Nietzsche ausführlich auf seine Studien
über Metrik und Rhythmik zurückkommt, ist die Antwort darauf.
Nizza (lleance)
rue 8t. llrancoie cls Uaule 26 H.
Winter i885/86.
Werther und lieber Herr Doctor,
glauben Sie daran, auch ohne daß ich es schriftlich bezeuge (was mir meine
Augen von Jahr zu Jahr wcniger erlauben —) daß nicht lcicht Jemand Jhren
Untersuchungen und Feinheiten mit mehr Theilnahme folgen kann als ich.
Wenn nur „Theilnahmo" ausreichte! Aber es fehlt mir an Wissen und Können
nach allen den Seiten hin, wo Jhre merkwürdig vielfältige Begabung liegt
Vor allem: es vergehen Jahre, in denen mir Niemand Musik macht, ich selbst
eingerechnet. Das Letzte, was ich mir gründlich angeeignet habe, ist Bizet's
2. Vktoberheft 1900