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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 11 (1. Märzheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0512

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Lose Mäller.

)Ius „Meisler Oelze" von Iokaunes Scklas.

Vo rb em erkun g. Wer zarter Nerven ist und wer nur solche Poesie
lesen mag. die il,n ^erheitert", der überschlage ja das Folgende — wir geben
ihm diesen Rat ohne Spott allen Ernstes, denn auf den nächsten Blättern findet
sich ein grausiger Ausschnitt Leben ohne jede Verschleierung oder Verschönung
dargestellt. Es ist nur für „starke Leute" erträglich. Solchen aber meinen
wir es zeigen zu sollen, weil ein gutes Stück wirklich ehrlicher Geistesarbeit
darin steckt, Arbeit von jener Art, die sich vielleicht im Ziele irrt und nicht
Wahrheit sondern nur Wirklichkeit bringt, die aber rücksichtslos einer echten
Ueberzeugung folgt und also durch und durch wahrhaftig ist. Johannes Schlaf
hat ein Recht darauf, daß die Gebildeten die besten seiner Arbeiten endlich aus
eigner Anschauung kennen lernen, denn sein „Meister Oelze" dürfte doch wohl
trotz aller Mängel das interessanteste Drama sein, das der deutsche „konseguente
Realismus" geformt hat.

Die Welt, in die wir versetzt werden, ift so düster wie möglich. Oelzes
Stiefschwester Pauline ist bei dem schwindsüchtigen Meister zum Vesuch in ihrem
gemeinschaftlichen Slternhaus, und wie sehr er sie wegwünscht, sie bleibt, weil
sie sür ihren Verdacht, daß Oelze dereinst mit seiner jetzt geistesblöden Mutter
zusammen des Erbes wegen den Vater aus dem Wege geräumt hat, irgend-
wie Licht zu bekommen hofft. Oelze sühlt sich durchschaut und zittert davor,
sich zu verraten, Pauline reizt ihn fortwährend durch Anspielungen, die nie zu
offener Aussprache werden. So nähert sich Oelze dem Tode, von seiner
Schwester wie von seinem Haß gegen sie, von Gewissensbissen und von der
Angst gequält, sein Gut dem einzigen Menschen, den er liebt, seinem Jungen Emil
durch ein Schuldbekenntnis zu entziehen. Er ist kein „Held", obgleich er sein
Geheimnis trotz Fieber und Phantasieen bewahrt, und auch seine Widerspielerin
Pauline ist keine Heldin, denn zu einem wirklich entschiedenen Handeln kommt
auch sie nicht, — erfrischende That schildert uns dieses naturalistische Stück
so wenig wie irgend ein anderes. Auf die bekannten läuternden und be-
freienden Wirkungen der Tragödie verzichtet es also von vornherein, da das
aber mit voller Absicht geschieht, darf man sie hier auch nicht suchen. Man
darf hier, will man gerecht sein, nur suchen, was Schlaf gebcn will. Und
das gibt er thatsächlich auch. Diese kleinen Menschen: Oelze, Pauline, Oelzes
oberflächliche aber gutmütige rührsclige Frau Rese und sein Junge Emil sind
mit staunenerregendor Bildnistreue dargestellt, und zudem beweist Schlaf, datz
sich auch mit den Mitteln des naturalistischen Dialogs dichterische Stimmungs-
wirkungen unzweifelhaft erreichen lassen. Seine Technik des Dialogs ist
es denn auch, deren Ausbildung weder Schlaf noch seinem Mitarbeiter Holz
vergessen werden darf; in dieser Beziehung waren sie die ersten, die in Deutsch-
land reformatorisch vorgingen, und hierin haben nicht etwa bloß die Natura-
listcn von ihnen gelernt, sondern fast alle, die Dramen in Prosa schreiben.

Von der Berliner Aufführung des „Meister Oelze" spricht Schlaikjer in
unsrer Rundschau. Die Buchausgabe ist bei S. Fischer in Berlin erschienen.

*

Nacht, gegen Morgen. Die Rouleaux sind heruntergelassen. Auf dem
Tische steht zwischen Arzneiflaschen, Wassergläsern, Weingläsern, einer Flasche
Wein, einem Eiskübel u. s. w. die brennende Lampe. Um die Glocke ist ein
Stück Zeitungspapier gesteckt, das Licht zu dämpfen. — Nechts, im Vorder-
lkunstwart
 
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