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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 16 (2. Maiheft 1902)
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Rundschau
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0205

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sehr dazu anregt, sich mit einem bc-
grenztenNaturgebiete wirklich gründ-
lich vertraut zu machen, so gründlich,
datz man über das Buch hinaus zur
Genossenschaft mit dem Leben selber
kommt. Zweitens: weil gerade sein
Gebiet, das Vogelreich, ein Gebiet von
höchster Wichtigkeit sür die Natur-
schünheit unsrer Heimat ist. Wer
es kennt, wird es mit zu schützen
helfen. Uebrigens ist im „Vogel-
Goethe" auch sehr vergnüglich zu lesen.
Und die ungefähr töo Mark, die das

üci Köhler in Gcra crschcinende Werk
kostet, sind zwar gcwitz ein schweres
Stück Geld, im Verhältnis aber zu
dem, was die mächtigcn und prüchtigen
Bände bieten, sind diese sogar so er-
staunlich billig, dah die Neu-Ausgabe
nur bei reicher Unterstützung auf
die Kosten kommen kann. Begüterte
Leute und zumal Büchcreien sollten
bedenken, dah es auch eine Ehren-
pflicht für uns Deutsche ist, so schöne
und gute Unternehmungen zu halten
und zu ermutigen.

Llnsre l^oleii unci Viicier.

Unsre Notenbeilage bringt einen Kanon von Joseph Hapdn mit
einer aä libituin zu verwendenden neuen Klavierbegleitung von Leo Blech. Be-
merkenswert ist, wie schon Haydn hier die von den Modernen vielgebrauchte
und ihnen von dcn Philistern gar sehr verübelte tzarmonie des übermähigen
Dreiklangs ohne jegliche Gewisscnsbisse zur Charakteristik des „bösen Woibes"
anwendet. — Man wolle zu diesem Stück den kleinen Rundschau-Artikel „Vom
Kanon" vergleichen.

C. G. Ehrli ch, der .^.imo Uowwi ^773 unscr erstes heutiges Bild radiert
hat, ist heute ein ganz unbekannter und war sicherlich niemals ein berühmter
Mann im Lande der Kunst. Wir geben den „Brand in der Albrechtsburg zu
Meißen/ den er dargestellt har, auch gar nicht als ein grohes Kunstwerk wie-
der. Wir bittcn zunüchst bescheiden unsre estöruin eoii86o-Bitte: man wolle sich
in das Blatt vcrtiefen. Was es alles erzählt, nicht wahr? Die reine Jllu-
stration zu Schillers „Glocke"! Hinten, wo's brennt, der tzof durch Stadt-
soldaten bewacht, welche nur die schwcren Wassertonnen passicren lassen, die zwei-
spünnig herrasseln, und die Feuercimer, die in langcr Kctte um die Wctte vom
Brunnen kommen. Vor dem Brunncn Flüchtlinge mit den Bettsäckcn u. s.w.,
rechts vorn erwägende Bürger ini Schlafrock und Nachtmütze, rechts hinten
auch noch betrachtcndc Gruppen. Wenn man abcr cine Mcngc Einzelnes sieht,
so sieht man doch auch das Gnnze. Auch die Wirkung der Flächen, der Massen,
des Lichts durch unser Auge auf unsre Seele ist hier mitberücksichtigt. Und nun
unsre Frage: wie viele ebcnso gute Darstellungen von Tagesereignissen haben
wir dcnn heute? Freilich, wir haben den Photographcnapparat! Es
wärc, mit Verlaub zu sagen, ein Escl, wer dcssen auherordentlichc Brauchbar-
keit zur Jllustration der Wochc und des Tages im weitern und der „Woche"
und des „Tags" im engeren Sinne bezweifeln wollte. Abcr ganz abgesehen
davon, dah cr in cinigen Fällen (wie geradc bei Feuersbrünstcn) übcrhaupt
versagt, so ist die Platte bekanntlich ein sehr unintelligentes Wesen: sic moldet
uns mit Promptheit, was gerade in diescm Bruchteil einer Sekundc geschicht,
der Mcnsch aber sicht stcts mit, was cben war und eben wird, und somit
blitzen sich in scinem Kopf die bezeichnenden Augenblicke zusammen. Ehr-
lichs Darstellung ist durchaus wirklichkeitsgemäh, in dcr Erinnerung eines
Augcnzeugen kann sich das Bild ganz genau so gxzeichnct habcn, wie cr's
überliefert, denn allcs, was der Beschauer bemerktc, ist sicherlich darauf —
und doch ist's ganz was andres, alS ein Photographenbild. Dicses kvnnte von
cincm ähnlichen Ereignis nur durch Zufall Charakteristischcs erhaschen, es
mühte uns unvermeidlich viel völlig Gleichgültiges mit auftischen. Mit der
Feststcllung dieser Thatsache ist dcn Photographenbildern ja lange noch nicht
der Stab gebrochen. Auch sie habcn ihr Daseinsrecht selbst in dcr Presse, um
Aktuelles zu bcgleiten — gewih nicht immer, aber mitunter ist eben Oberflächliches
immer noch mchr wert, als gar nichts. Kommt jedoch die Gefahr, dah wir
Oberflächliches für Gutes odcr gar für Erschöpfendes halten, so können uns
alte Bilder wie unser heutigcs an das erinnern, was fehlt. Blätter, wie dieses
Ehrlichsche, sind vor hundert Jahren durchaus nicht selten gewcsen. Und noch-
mals: Wo sind derartige Jllustrationcn dcr Zeitgeschichte hcutc?

Kunstwart
 
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