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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 24 (2. Septemberheft 1902)
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Lichtwark, Alfred: Festrede: gehalten in Nürnberg bei der Jubelfeier des Germanischen Nationalmuseums
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0594

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Sie konnten sich auf die alten Ehren Nürnbergs berufen, seine Kunst,
in der die deutsche Gesamtkunst gipselt, seine alte politische Bedeutung, seinen
Einfluß als Ausgangspunkt grundlegender Erfindungen.

Aber vielleicht hat sie ein jüngeres Verdienst der herrlichen Stadt geleitet.

An dem berückenden Bilde Nürnbergs, wie es mit den Mauern und
Zinnen, mit Erkern und Türmen um die ragendc Herrlichkeit sciner Vurg
gelagert ist, hat das Deutsche Volk vom Ende des t8. Jahrhunderts an und
zur Zeit der Auslösung seines politischen Körpers das eigene künstlerische
Wesen verstehen und lieben gelernt. Am Bilde Nürnbergs hat es zuerst erfaßt,
daß es neben dem klassischen Jdeal ein nordisch-germanisches gibt. Kein zweites
deutschcs Stüdtebild hat durch sein bloßes Dasein so mächtig auf die Phantasie
des ganzen Volkes gewirkt, keines lebt in seinem Herzen mit so persönlichem
Antlitz. Am Stadtbild Nürnbergs hat sich das inbrünstige Wesen der deutschen
Romantik entzündet, und wir dürfcn es nicht vergessen, daß die romantischo
Stimmung und das romantische Gefühl der Brunn der wissenschaftlichen Er-
forschung und des wissenschaftlichen Verständnisses unserer dsutschen Stammes-
art und Entwickelung geworden ist.

Nürnberg genoß bis zur Auflösung des alten Reichs durch ein halbes
Jahrtausend ein so überragendes Ansehen, daß seinen sicheren Mauern, seiner
gefestigten Staatsverfassung die Hut der Reichskrone und der Neichskleinodien
anvertraut war.

Fünfzig Jahre nach dem großen Zusammenbruch hat die Einmütigkeit
der deutschen Fürsten und des deutschen Volkes dem Schutz derselben Stadt
im Germanischen Museum ein anderes ReichSkleinod übergeben: das sichtbare
Syrnbol ihres Glaubens an eine deutsche Kultur. Zllfred Lichtwark.

I^sse Kiättsr.

^uktritte aus Hebbelo Orarnen,

V o r b em e r r u n g. Wir drucken an anderer Stelle die Wür-
digung ab, die Bartels in seiner Literaturgeschichtc Friedrich Hebbel
widmet. Uns Heutigen gilt dieser ja als einer der größten, vielleicht
als der größte unserer nachklassischen Dichter und jedenfalls als
der größte ihrer Dramatiker, damals aber, als Bartels seine un-
ermüdliche Propaganda sür Hebbel begann und als Hebbels Werke
noch nicht „frei" waren, damals, vor zwei Jahrzehntcn, kannten
selbst unter den Gebildeten nnr wenige mehr als den Namen von
Hebbel: man stellte ihn als einen „Kraftdramatiker" neben Grabbe
oder glaubte ihn mit Heyses Scherz abgethan von dem Dichter,
dessen Phantasie unterm Eise brütet. Heut hat der Glaube der
Hebbel-Gemeinde gcsiegt, wahrhaft für sich erobert aber haben wohl
immer noch nicht allzuviele die Hebbelsche Poesie. Hebbels Kunst ist
schwer, in vielem sehr schwer zugänglich, wenn man sich nicht mit
dem Aufenthalt in den Vorhöfen ihrer Tempel begnügen will.

Wir geben in Nachfolgendem einige Szenen aus Hebbels Dramen
mit der besonderen Absicht, die Hebbelsche Schönheit, die oft ge-
leugnete, deutlich zu machen. Die erste dieser Szenen, aus „Maria Mag-
dalene" (II, l), ist zwar mehr für die Art der Hebbelschen Charakterisier-
ungsweise bezcichnend — als echter norddeutscher Mensch, der zur Selbst-
beobachtung neigt und am liebsten ganz bewußt sein und handeln möchte,

2. Septemberheft 1902

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