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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 24 (2. Septemberheft 1902)
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0618

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Arisre jVolen unck kilclev.

Die diesmalige Notenbeilage enthält ein Lied von August Reuß,
auf den G. Göhler im vorigen (23.) Hefte hinwies — der Leser. der Näheres
über diesen Künstler zu ersahren wünscht, wolle dort nachschlagen. Die
Komposition desj Kellerschen Gedichtes wird als Probe Reußscher Tonsprache
einen lebendigeren Begriff von seiner Art geben, als ihn das schildernde Worl
zu veranschaulichen imstande ist.

Von unsern Bildern stellt das dem Text vorgesetzte Friedrich
Hebbel dar nach einer wenig gekannten Photographie aus dem Besitze seiner
Witwe. Es gibt kein zweites Bildnis dieses Großen, das so ausdrucksvoll
sein Leiden und Ringen verriete, während doch auf der mächtigen Stirne klar
genug auch der Sieg leuchtet. Von den hinten angefügten Bildern zeigt das
erste das „große Rasenstück" von Dürer, jene Tuschzeichnung, die eincn der
Hauptschätze der an seltenen Schätzen so reichen Kaiscrlichen Sammlung von
Handzeichnungen in Wien bildet. Möge man unsere Wiedergabe jetzt, wo der
Dürerbund begründet wird, als ein bescheidenes Festblatt hinnehmenl Es ist
nichts „Großes" um dieses Werkchen — und doch hat es schon Tausende ent-
zückt, weil sie alle die Liebe fühlten, die aus solcher Versenkung ins Kleine
atmet. „Gebirg und Sonnen Umkreist dein Flügel, Und weilt mit Wonnen
Am VeilchenhügeU — von keinem gilt dieses Dichterwort ja mehr, als von
ihm, der uns von diesem Rasenstücke zu seiner Melancholie und zu seinem
Ritter zwischen Teufel und Tod und wieder zur Jnnigkeit seiner Gottes-
mntter und seines Heilands führt. Unsere zwei letzten Bilder sind Gemälde
von Kaspar David Friedrich. Wer war das? Die Kunstgeschichten
wissen nicht viel von ihm. Aber einer wußte sehr viel von ihm zu erzählen,
das war Ludwig Richter. Als der noch ein junger Mann war, in den ersten
Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts also, wirkte Friedrich in Dresden,
die damaligen „Alten" wollten nichts von ihm wissen, denn ihnen galt Friedrich
als wilder Kunstreoolutionär, die damaligen Jungen aber empfanden in der
Dürre des Akademikertums etwas ganz Neues in seinen Bildern, eine wunder-
same Poesie, die sie in dieser Weise aus bildender Gegenwartskunst heraus
noch niemals angesehn hatte. Denken wir daran, daß diese Bilder vor achtzig
bis neunzig Jahren entstanden sind, daß sie zeitlich noch viel weiter zurück-
liegen, als die der Düsseldorfer Romantiker, so werden wir Ludwig Richters
Bewunderung für diesen Künstler verstehen und in ihm einen der allerersten
Wiedererwecker jenes Geistes sehen, der in der deutschen Kunst seit Dürer
schlief, in Schwind träumte und mit nie geahnter Kraft in Böcklin und Klinger
erwachte. Wir haben Stimmungsbilder vor uns, das Merkwürdige aber ist,
daß die Stimmungen durchaus mit Mitteln der bildendcn Kunst erreicht
sind. Nicht werden, wie bei den Romantikern, erzählende Momente hinzu-
gezogen, die das Vergangene oder Kommende einer Handlung in die Wirkung
des Bildes über die Grenze der eigenen Kunst her aus Fremdland mit hinein-
schmuggeln. Selbst die beiden Gestalten auf unserm ersten Bilde sind keine
Ritter oder Mönche oder Räuber oder sonstwie Leute, die schon von Standes
wegen „iuteressant" oder „stimmungsvoll" anmuteten, sondern es sind einfach
zwei Spaziergänger im Zeitkostüm. Sie betrachten das seltsame Licht des
neuen Mondes, eh' er mit der zunehmenden Dämmerung untergeht. Aber
wir fühlen mit ihnen mit: das seltsame Geheimnis des überirdischen Lichtes
berührt auch uns. So bedient sich Friedrich hier seinfühlig und geschickt des

2. Septemberhest 1902

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