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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Das Deutsche Kunstlied seit Bach, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0103

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oder zum Hackbrett, aber davon zu lernen, das fruchtbare Prinzip sich
zunutze zu machen, das fiel der musikalischen Zunst in ihrem Dünkel
nicht bei. Man setzte Lieder, Kanzonen und Madrigale „unentwegt" sür
mehrere Singstimmen. Hatte man beim häuslichen Musizieren die volle
Anzahl der Stimmen nicht zur Bersügung, so griff man die sehlenden
Stimmen aus der Laute. Was so nahe lag: eine Komposition gleich
von vornherein für Gesang und Lautenbegleitung anzulegen, das ver-
suchte man nicht. Weiß Gott, wie lange die Tonkünstler sich gequält
hätten, um etwas zu entdecken, was in jeder Dorfschenke zu lernen
war, wenn ihnen nicht ein paar vornehme Schöngeister beigesprungen
wären, die in den griechischen Schriststellern allerhand Herrliches über
die von der Leier begleitete Monodie des Altertums gelesen hatten.
Dieses verlorene Gut wollten die Philhellenen zurückgewinnen, und unter
dem Schutze Platos begannen sie den Kampf gegen die Polpphonie,
aus dem zuletzt die von einem bezifferten Baß gestützte Arie als Siegerin
hervorging.

Nach dem Vorbilde dieser Arie ist dann in Deutschland das vom
Cembalo begleitete Lied entstanden und zwar merkwürdigerweise nicht
an der Südgrenze, sondern im Schoße des Königsberger Poetenkreises,
wo sich zu Simon Dach und Robert Roberthin der Dichterkomponist
Heinrich Albert, ein Voigtlünder, gesellte. Jn der Kürbishütte seines
Gartens kamen die Freunde zusammen, tauschten in gemütlichem Ver-
kehre ihre Gedichte aus, und Albert, der Musikus, setzte die Melodien
dazu. Acht Teile dieser „Arien" erschienen von 1638 bis 1630, es
sind manche recht nette, gesüllige Sachen darunter, z. B. das Vorjahrs-
liedchen „Die Lust hat mich bezwungen zu sahren in den Wald" oder
„Bist du von der Erden, Rosabella?" Aber wer sie nicht kennt, hat
nicht viel verloren, und jedenfalls besitzen die besten Verse der Königs-
berger eine weit größere Lebenskraft als ihre besten Weisen. Das „Der
Mensch hat nichts so eigen" und das „Annchen von Tharau" kennt
man auch heute noch, das letztere ist sogar dank Herder zum volkstüm-
lichen Liede geworden, es wird aber längst nicht mehr aus die Melodie
Alberts gesungen, sondern wie bekannt, aus eine neuere von Silcher.
Albert war eben bloß der Mann seiner Zeit, ein sreundliches Talent,
kein Genie und kein Bahnbrecher, ssine geschichtliche Stellung als Vater
des deutschen Kunstliedes in unserem Sinne verdankt er mehr dem Zusall
als einer weitblickenden Einsicht. Jmmerhin ist es schade, daß der
idpllische Liederfrühling mit den Genossen der Kürbishütte welkte und
starb, ohne daß Jemand ihr künstlerisches Erbe angetreten und weiter-
gebildet hätte. Auch in diesem Sinne ist Alberts Schaffen in der Ge-
schichte des Liedes eine Episode, kein Markstein gewesen. Wer sich
näher damit besassen will, dem sind seine Arien durch einen von R. Eitner
besorgten Neudruck (Halle 188^) bequem zugänglich geworden.

Wenn der Einsluß der italienischen Arie auf dem weiten Wege
vom Wälschland bis Königsberg sich bis zu einer allgemeinen, aber
sruchtbaren Anregung verslüchtigte, so sührte er im Südwesten zu un-
selbständiger Nachahmung des sremden Musters. Die opernhafte Arie
kam in Mode, herrschte mit ihrer künstlichen Melodik sast unbeschränkt
bis ins zweite Drittel des 13. Jahrhunderts und hemmte die bereits
angebahnte Entwickelung des Liedes. Unterdessen vergnügte sich der be-

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