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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 7 (1. Januarheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0544

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vergebens nach Gründen, denn an
Kraft zu individualtsieren gebricht es
Ricarda Huch doch nicht. Das zeigen
ihre übrigen Frauengestalten hier,
Verena z. B., ein überaus eindringlich
festgehaltenes Bildnis von erschrecken-
der Wahrheit als Tchpus, ferner in
sreundlicheren Farben Malve, Michaels
schöne Mutter, die leichtherziges naives
Weltkind bleibt bis ins hohe Alter.
Unter den Männern überwiegen die
problematischen, die überkultivierten,
die dekadenten Naturen. Jhre Stellung
lätzt uns keinen Augenblick darüber
in Zrveifel, datz die Dichterin bei
gleichmätzigem Jnteresse auch sür diese
ungenauen Erscheinungen ihr wahres
Wesen gerecht erkannt hat.

Ja, es ist romantische Kulturpoesie,
was Ricarda Huch hier gibt. Ueberall
sucht sie die Summe, den höchsten Ge-
halt an innerem Leben, dessen die
Charaktere in der jeweiligen Situation
zu äutzern fähig sind, in der einfachsten
erzählenden Form wiederzugeben.
Dieser Drang zu den letzten Fragen,
dieser spekulative Trieb einer im
Grunde doch weiblich intensiven, nicht
extensiven Phantasie bringt die Ge-
sahr des geistreichen Symbolismus,
des sinnbildlichen Spielens mit den
Dingen nahe. Vor dieser Gesahr bleibt
die Verfasserin durch die Reife ihres
Geistes, durch die Stärke ihrer Em-
pfindung im allgemeinen bewahrt,
doch leugne ich nicht, daß die Gegen-
ständlichkeit ihrer Poesie durch das
Vorwalten der Reflexion zu Zeiten
leidet, daß es ihr nicht immer gelingt,
innere Zustände gegenständlich, an-
schaulich zu sassen und zu gestalten.
Gerade im Verhältnis Michaels zu
Rose treten diese Reflexionen an die
Stelle unmittelbaren Lebens, und es
ist bezeichnend, daß die wenigen episo-
dischen Vorgänge, die nicht fördernd
und also notwendig in den Zusam-
menhang des Ganzen eingeflochten
sind, dort auftreten, wo man aus dem
Zusammensein der Liebenden neue

Kombinationen zu erwarten berechtigt
ist. Die Komposition aber ist bei alle-
dem äutzerst knapp und folgerichtig,
wie schon der Jnhalt erweist.

So wären wir um ein ungewöhn-
lich gutes, fast möchte ich sagen, um
ein Lebensbuch reicher. Wehmut, aber
jene klargesichtige Wehmut, die, dem
echten Golde gleich, auch im ärgsten
Feuer besteht, ist seine Grundstimmung.
Das Leben der Träume ist kurz, sagt
die Ueberschrift. Wer darin nichts
als untaugliche Sentimentalität findet,
sollte der wohl das Leben, sollte er
die Träume vom Leben je recht kennen
gelernt haben? L. Ralkschmidt.

G „G o ethe, ein Kinderfreund."

Wir haben sehr lebhaft die vier
Bücher Bodes über Goethe, seine Per-
sönlichkeit und seine Ueberzeugungen
empfohlen, die vor einiger Zeit bei
Mittler u. Sohn in Berlin erschienen
sind, denn diese Bücher schienen uns
endlich einmal wirklich geeignet, nicht
nur die „literarischen", sondern die
Lebenswerte Goethes sür unser Volk
zugänglicher zu machen. Den Bodeschen
Büchern schlietzt sich jetzt aus dem
gleichen Verlage eins von Karl Muthe-
sius an: „Goethe, ein Kinderfreund".
„Auf einem Zickzackgange durch Goethes
Leben alle die lieblichen Kinderszenen,
in denen er bald als fröhlicher Ge-
nosse, bald als getreuer Eckart auftritt,
und die frischen Kindergeftalten, die
kürzere oder längere Zeit seine Teil-
nahme genossen haben, zusammenzu-
stellen, ist der Zweck der solgenden
Blätter." Sie bilden rvieder ein Buch,
bei dem einem wohl wird, weil von
jeder Seite die blühende Gesund-
heit Goethes mit all ihrer Liebeskraft
wiederleuchtet.

G Warumist der Schillerpreis
auch dieses Iahr nicht verliehen? Ver-
schiedene Leute erkundigen sich in den
Zeitungen besorgtdanach, ob dennüber-
haupt keine Kommission mehr bestehe,
oder ob sie der Aufgabe nicht ge-
wachsen sei, oder ob sich abermals

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Aunstwart
 
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