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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1903)
DOI Artikel:
Schubring, Paul: Die Natur bei Richard Wagner, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0770

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in das andere über. Wir steigen am Anfang des Werkes vom Grund
des Rheines auf; am Ende des Vorspiels glänzt sein Spiegel in der
Tiefe, als die Rheintöchter ihren Klagerus um das geraubte Gold
heraufsenden. Zur gleichen Zeit glüht über dem Wasser und der Welt
der feurige Regenbogen, die Götterstraße zur Burg in den Lüften,
auf der die Seligen schreiten, während sern ab der Riese über der
Erde harten Rücken trottet. Jn der Götterversammlung der zweiten
Scene des Rheingolds sind alle Elemente vertreten: Loge ist das
Feuer selber, Donner der Herr der Wolken, die Riesen sind die Felsen-
söhne; in der Tiefe rauscht der traurige Vater Rhein.

Die Wasser dieses Stromes rauschen um die Menschengeschicke
Abend für Abend. Den Brünnhildenfelsen umleckt seine Welle; er
trügt den Helden Jung Siegfried aus seiner sonnigen und seiner li-
stigen Rheinfahrt gleich willig, er warnt seineu Liebling durch seine
Töchter am Todestag. Stumm schickt er seine Nebel auf, um Sieg-
srieds Leiche zu decken und endlich erhebt er seine Wellenhände in
mächtigstem, nie erlebtem Greifen, um den Ring zurückzuholen. Ge-
duldig hat er gewartet, immer wieder vergeblich um fein Gold ge-
beten, bis der letzte Besitzer den Ring sterbend zurückgibt. Wie das
Mütterchen Wolga die russischen Sagen durchzieht, so rauscht die Welle
des Rheins alles betreuend durch die deutsche Sage. Seine Wasser
sind Anfang und Ende; seit Ewigkeit floß er daher und hütete seinen
Schatz. Er sah die Menschen als junge Kinder, in Angst und Liebe, in
Not und Verwirrung. Er sah Götter mit Riesen und Zwergen kämpfen,
er rauschte um brennende Berge und an stolzen Königshallen vorbei.
Alles sank, alles verlosch. Seine Welle küßt zum Abschied die toten
Helden. Dann strömt er ruhig und ewig in alter Weise zu Tal, neue
Geschicke erwartend und neuen Segen aufsparend in seinem großen
Wellenschoß.

Die Erde feiert ihre stille Schöne im deutschen Wald, im Hain,
am Fuß der Eiche, am silbernen Quell. All diesen Zauber gab sie
froh heraus und wartete aus fröhliche Menschenkinder, daß sie den
Schatten und das Wasser genössen und aus grünem Moos junge Früh-
lingsträume träumten. Jhre gefährlichen Goldschätze hielt sie klug
versteckt, daß keine List daran lauern könne. Nur in der befreundeten
Welle hob sie, sich selbst feiernd, das rote Kleinod des Rheingoldes
heraus, das jeden Morgen aus den Sonnenkuß wartete, um den ganzen
Strom zu erleuchten. Wie ein Diadem legt die Erde sich den leuchten-
den Fluß jeden Morgen um die große Stirn, wenn sie sich gestärkt von
der Nacht zu neuem Wirken erhebt. Riesen und Zwergen bietet sie
Höhlen, GötLern die Steine zur Himmelsburg, und auch den Menschen
baut sie den Felsensaal. Aber die eigentliche Heimat des Menschen
ist der Wald. Waldheimat umsängt das Wälsungen-Geschick von der
Geburt bis zum Tod; im Wald geboren, im Wald sich sindend, im
Walde sterbend kennen Siegmund und Siegelinde keine andere Welt.
Der Wald nimmt auch ihren Sohn auf, als die Mutter sterbend ihn
gebar. Der Wald ist Siegfrieds Lehrmeister; er sunkelt ihm die Seele
wach, er rauscht ihm Rat und Warnung. Er hütet ihn bis zum Feuer-
berg; und als er ihn verläßt, wendet sich Siegfrieds Geschick. Jm
Felsensaal lernt Siegfried von Menschenlippen neue Weisheit.

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Runstwart
 
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